Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Jan Fabel 02 - Wolfsfährte

Titel: Jan Fabel 02 - Wolfsfährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
Vom Netzwerk:
dem Umschlag von Die Märchenstraße gesehen. Das Bild gab den Autor recht genau wieder, aber es hatte keinen Hinweis auf seine Größe geboten. Er war mindestens so hoch gewachsen wie Olsen. Fabel schätzte ihn auf zwei Meter fünf. Er war froh, sich dem Schatten des Autors entziehen zu können, als dieser ihn durch die Eingangshalle in sein Arbeitszimmer führte. Dort bot er Fabel einen Stuhl an und ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. Das Arbeitszimmer war riesig. Fabel vermutete, dass es das Hauptzimmer im Erdgeschoss war und die Basis für den Balkon in der ersten Etage bildete.
    Die prächtigen Möbel waren aus dunklem Holz in verschiedenen Tönen angefertigt worden. Der enorme Schreibtisch sah aus, als hätte man das Mahagoniholz eines halben Regenwaldes für ihn verwendet, und drei Wände waren mit vom Boden bis zur Decke reichenden, gut bestückten Bücherregalen gesäumt. Nur der Fußboden bestand aus hellerem Holz, wahrscheinlich aus roter Eiche, wie Fabel vermutete. Die Deckenleuchten waren eingeschaltet, ebenso wie Weiss’ Schreibtischlampe, sodass Lichtkreise auf die verschiedenen Holzoberflächen fielen. Diese zusätzliche Beleuchtung war sogar jetzt am Nachmittag notwendig, denn das dunkle, polierte Holz im Arbeitszimmer schien das Tageslicht aufzusaugen, das durch die auf den Garten und die Straße dahinter hinausblickenden Terrassentüren strömte. Weiss’ Schreibtischplatte war säuberlich aufgeräumt. Auf der einen Seite lag eine frühe Ausgabe der Grimm’schen Märchen, und in der Mitte stand Weiss’ Laptop. Aber der Schreibtisch wurde von einer ungewöhnlichen Skulptur beherrscht. Auch sie war aus Holz, doch aus einem tiefschwarzen Ebenholz.
    Weiss bemerkte Fabels Blick. »Erstaunlich, nicht wahr?«
    »Ja… ja, das stimmt.« Fabel musterte die Schnitzarbeit. Es war ein stilisierter Wolf mit einem gedehnten, leicht verdrehten Körper. Der schwere Schädel schnappte mit fletschenden Zähnen nach hinten. Es sah aus, als habe der Wolf etwas hinter sich gehört, sich plötzlich umgewandt und sei in dem Moment zwischen Überraschung und Angriff verewigt worden. Es war ein prächtig ausgeführtes Stück, und Fabel konnte sich nicht entscheiden, ob er es für wunderschön oder abscheulich halten sollte.
    »Ein sehr begabter, sehr bemerkenswerter Mann hat das Stück für mich angefertigt«, erklärte Weiss. »Ein einmalig talentierter Künstler und ein Lykanthrop.«
    Fabel lachte. »Ein Werwolf? So etwas gibt es nicht.«
    »O doch, Herr Kriminalhauptkommissar. Lykanthropie existiert… nicht als übernatürliche Verwandlung eines Menschen in ein Tier, sondern als anerkannter psychiatrischer Zustand. Es gibt Menschen, die glauben, dass sie zu Wölfen werden können.« Weiss reckte seinen gewaltigen Schädel und betrachtete die Holz-Skulptur. »Der Schnitzer war ein enger Freund von mir. Er war völlig normal, außer bei Vollmond. Dann hatte er einen Anfall… eine Attacke, bei der er sich verbog und um sich schlug, an seiner Kleidung riss und dann einschlief. Das war alles. Andere, darunter auch ich, können es bezeugen. Nur ein Anfall, ausgelöst durch die leichte Druckveränderung der Gehirnflüssigkeit, die ein Vollmond verursacht. Aber was wir sahen, war nicht das, was er erlebte. Also bat ich ihn, den Moment einzufangen.« Weiss’ Augen warfen ein dunkles Licht auf die Skulptur. »Und das hier ist das Ergebnis.«
    »Aha.« Fabel musterte das Kunstwerk erneut. Er hatte eine Entscheidung getroffen: Es war abscheulich. »Was ist aus ihm geworden? Wurde er geheilt?«
    »Leider nicht. Er verbrachte mehr und mehr Zeit in Anstalten. Schließlich konnte er es nicht mehr ertragen und hängte sich auf.«
    »Das tut mir Leid.«
    Weiss’ ausladende Schultern bewegten sich so unmerklich, dass man nicht von einem Achselzucken sprechen konnte. »Sie haben einen interessanten Namen, Herr Kriminalhauptkommissar. Fabel. Das passt sehr gut zu meiner Arbeit, denn schließlich könnte man sagen, dass ich Fabeln produziere.«
    »Er ist offenbar dänischer Herkunft. In Hamburg scheint er verbreiteter zu sein als in jeder anderen deutschen Stadt, aber ich komme ursprünglich aus Friesland.«
    »Äußerst interessant. Was kann ich für Sie tun, Herr Fabel?« Weiss betonte den Namen, als spiele er noch damit.
    Fabel erklärte, welche Mordfälle er aufzuklären versuchte. Die Morde hätten ein gemeinsames, sich auf die Grimm’schen Märchen beziehendes Thema und seien vielleicht durch Weiss’ Roman Die

Weitere Kostenlose Bücher