Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Rückkehr freute. Das Team, das er aufgebaut hatte, konnte seine höchste Schlagkraft nur in der Gemeinschaft entwickeln. Sämtliche Beamten und Beamtinnen hatten spezielle Fähigkeiten und individuelle Vorzüge, die sich gegenseitig ergänzten und verstärkten. Wenn ein Mitglied fehlte, wurde das Team nicht nur zahlenmäßig geschwächt. Fabel wusste, dass Werner, genau wie Anna, wahrscheinlich an die Arbeit zurückkehren würde, bevor es medizinisch ratsam war. Aber Wernerwürde durch die Schwere seiner Verletzung gezwungen sein, sich noch einige Zeit auszukurieren.
Er blickte zu den beiden sehr unterschiedlichen weiblichen Mitgliedern seines Teams hinüber. Anna saß steif auf dem Stuhl und versuchte, die Beschwerden zu verbergen, die ihr die schwere Abschürfung am Oberschenkel bereitete. Neben Anna hatte Maria, wie immer ruhig und gefasst – und in farblich abgestimmter Kleidung – Platz genommen. Weniger als ein Jahr zuvor war ihr Leben durch eine Verletzung, die sie sich bei einer Ermittlung zugezogen hatte, in Gefahr geraten. Eine wieder gesundete Beamtin, eine genesende und ein im Krankenhaus liegender Oberkommissar. Die Situation gefiel Fabel überhaupt nicht. Die Ermittlungsarbeit schien immer gefährlicher zu werden. Ihm war klar, dass er sein Team verstärken musste.
»Anna, ich muss dir wieder einen Partner geben. Dir auch, Maria, wenigstens bis Werner wieder aus dem Krankenhaus kommt. Wie ihr seht, habe ich Petra Maas und Hans Rödger vom LKA 42 angefordert, beides tüchtige Leute. Wahrscheinlich werde ich darum bitten, ihre Abordnung mindestens bis zum Ende dieses Falles auszudehnen. Trotzdem brauchen wir ein neues ständiges Mitglied im Team. Ich habe die Sache hinausgezögert, weil ich glaube, dass wir alle Zeit brauchten, um mit Pauls Tod fertig zu werden. Aber ich habe auch niemanden gefunden, der meiner Meinung nach ins Team passen würde. Bis jetzt.«
»Klatt?«, fragte Anna.
Fabel antwortete nicht, sondern stand auf, ging zu seiner Bürotür, öffnete sie und rief zum Hauptbereich der Mordkommission hinüber: »Würden Sie jetzt bitte hereinkommen?«
Ein großer uniformierter Beamter betrat das Büro. Maria erhob sich und lächelte. Anna blieb sitzen, und ihre Miene zeigte mürrische Resignation.
»Herr Kommissar Hermann«, sagte Fabel, »Sie kennen Kriminaloberkommissarin Klee bereits. Und dies ist Kriminalkommissarin Wolff, mit der Sie zusammenarbeiten werden.«
31.
Hamburg-Blankenese, Dienstag, den 30. März, 9.40 Uhr
Fabel hatte sich mit Maria vor Laura von Klosterstadts Blankeneser Villa verabredet. Es war, wie er erwartet hatte, ein riesiges Anwesen. Die Villa war später gebaut worden als die Nachbargebäude und wies Anklänge an den Jugendstil auf. In mancher Hinsicht erinnerte sie Fabel an die prunkvollen kalifornischen Art-déco-Wohnsitze, die die films noirs im Hollywood der Dreißiger- und Vierzigerjahre zu beherrschen schienen. Er hatte das Gefühl, in einem Oldsmobile anrollen und sich den Kragen eines Trenchcoats hochschlagen zu müssen, während er auf der Auffahrt parkte.
Das Innere des Hauses wies zahlreiche offene Flächen und gerade Linien auf. Fabel und Maria betraten einen riesigen Empfangssaal. Er war doppelt so hoch wie üblich und hatte ein elegant gewölbtes Panoramafenster, das die gesamte Höhe des Saales einnahm. Es bestand aus modernistisch gestaltetem Buntglas und setzte in dem sonst eisweißen Raum den einzigen Farbakzent. »Der einzige Nachteil des Minimalismus ist, dass man zu viel davon haben kann«, sagte Fabel leise lachend, verstummte jedoch unter Marias verständnislosem Blick.
Zu seiner Überraschung wartete Hugo Ganz, der Innensenator, im Saal auf sie. Sein Gesicht war noch rosiger als sonst. Neben ihm stand ein schlanker junger Mann von höchstens siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Jahren. Er trug einen übertrieben konservativen Anzug, als wolle er sich die Autorität, die ihm sein Alter vorenthielt, auf diese Weise aneignen. Seine feinen Züge und sein hellblondes Haar erinnerten an die tote Frau, aber zu einem Mann schienen sie nicht zu passen.
»Herr Kriminalhauptkommissar Fabel, darf ich Ihnen Hubert von Klosterstadt vorstellen«, sagte Ganz. »Lauras Bruder.«
»Gestatten Sie mir, Ihnen mein Beileid für Ihren Verlustauszusprechen, Herr von Klosterstadt.« Fabel schüttelte dem jungen Mann die Hand, die kühl und schlaff war. Hubert von Klosterstadt reagierte mit einem kurzen Nicken auf Fabels Beileidsbekundung. Die hellblauen
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