Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
holte einen Küchenstuhl herbei und setzte sich darauf,um die Polster im Wohnzimmer nicht zu verstauben. Vermutlich hatte Frau Ehlers ihn an seinem Arbeitsplatz angerufen, und er war sofort hergefahren.
Wieder hatte die Haltung des Ehepaars eine Intensität, die Anna sowohl verwirrend als auch ärgerlich fand. Schließlich wussten beide, dass sie keine Neuigkeiten zu bieten hatte. Anna stellte Henk Hermann vor. Frau Ehlers ging in die Küche und brachte ein Tablett mit einer Kaffeekanne, Tassen und ein paar Keksen herein, bevor sie Platz nahm. Anna kam sofort zur Sache und erkundigte sich nach Heinrich Fendrich, Paulas früherem Deutschlehrer.
»Darüber sind wir schon so oft befragt worden.« Frau Ehlers Gesicht war müde und abgezehrt, als machten sich die drei Jahre ungenügenden Schlafes bemerkbar. »Wir können nicht glauben, dass Herr Fendrich das Geringste mit Paulas Verschwinden zu tun hatte.«
»Warum sind Sie so sicher?«, fragte Henk Hermann aus der Ecke, in der er mit einer Tasse auf den Knien saß. Anna schickte einen wütenden Blick in seine Richtung, den er nicht zu bemerken schien. »Ich meine, gibt es etwas Spezielles, das Sie überzeugt hat?«
Herr Ehlers zuckte die Achseln. »Danach… ich meine, nach Paulas Verschwinden… war er sehr hilfsbereit. Er machte sich wirklich sehr, sehr große Sorgen um Paula. Das hätte er nicht vortäuschen können. Sogar als die Polizei ihn immer wieder vernahm, wussten wir, dass sie auf der falschen Fährte war.«
Anna nickte nachdenklich. »Ich weiß, es ist eine unangenehme Frage, aber haben Sie je den Verdacht gehabt, dass Herrn Fendrichs Interesse an Paula… unpassend war?«
Herr und Frau Ehlers tauschten einen Blick aus, den Anna nicht deuten konnte. Dann schüttelte Herr Ehlers sein aschblondes Haupt. »Nein. Nie.«
»Herr Fendrich schien der einzige Lehrer zu sein, für den Paula etwas übrig hatte – leider«, sagte Frau Ehlers. »Er hat unseinmal besucht… es muss ungefähr sechs Monate vor Paulas Verschwinden gewesen sein. Ich fand es seltsam, dass ein Lehrer zu uns kam. Aber er war sehr… ich weiß nicht, wie ich es nennen soll… sehr überzeugt davon, dass Paula außergewöhnlich intelligent war und besonders hervorragend im Deutschen. Wir sollten zu einem Gespräch mit dem Direktor in die Schule kommen. Aber keiner von Paulas anderen Lehrern schien sie für etwas Besonderes zu halten, und wir wollten nicht, dass sie sich zu hohe Ziele steckte, nur um dann später enttäuscht zu werden.«
Anna und Hermann saßen in ihrem VW vor dem Haus der Ehlers. Sie packte das Lenkrad, rührte sich jedoch nicht, sondern starrte auf die Windschutzscheibe.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass wir in einer Sackgasse gelandet sind?«, fragte Hermann.
Anna schaute ihn einen Moment lang mit leerem Blick an, bevor sie energisch den Zündschlüssel im Schloss umdrehte. »Noch nicht. Zuerst muss ich noch einen Umweg machen.«
Da Fendrich so empfindlich auf weitere polizeiliche Ermittlungen reagierte, beschloss Anna, auch in diesem Fall vorher anzurufen, und zwar mit ihrem Handy, während sie von Norderstedt nach Süden fuhren. Sie wählte die Nummer der Schule, in der er nun unterrichtete, erwähnte jedoch nicht, dass sie für die Polizei Hamburg arbeitete. Fendrich war alles andere als erfreut, als man ihn ans Telefon holte, doch er erklärte sich einverstanden, sich mit den beiden in einem Café am Rahlstedter Bahnhofsvorplatz zu treffen.
Sie stellten den VW auf einem Parkplatz ab, der einen Häuserblock von dem Café entfernt lag, und gingen durch einen Wechsel von Schatten und Licht, da vereinzelte Wolken die Sonne ab und zu verdunkelten. Fendrich saß bereits an einem Tisch und rührte grübelnd einen Cappuccino um. Als sie eintraten, blickte er auf und musterte Hermann mit teilnahmslosem Misstrauen. Anna stellte ihren neuen Partner vor, und die beiden nahmen ebenfalls an dem runden Tisch Platz.
»Was wollen Sie von mir, Kommissarin Wolff?« Fendrichs Tonfall war von müdem Protest durchdrungen.
Anna schob sich die Sonnenbrille hinauf ins Haar. »Ich möchte Paula finden, Herr Fendrich. Sie ist entweder noch am Leben und in den letzten drei Jahren Gott weiß welchen Qualen ausgesetzt gewesen, oder – und wir beide wissen, dass dies wahrscheinlicher ist – sie liegt irgendwo als Leiche. Verborgen vor der Welt und ihrer Familie, die einfach nur um sie trauern möchte. Ich weiß nicht, welche Grundlage Ihre Beziehung zu Paula hatte, aber ich glaube,
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