Jan Fabel 02 - Wolfsfährte
Gerichtsmediziner, meinte, dass die Quetschungen von einer einzigen Hand – einem ausgestreckten Daumen auf der einen und dem Griff der übrigen Finger an der anderen Seite – herrührten. Die Spannweite der Hand sei enorm gewesen.
Große Hände. Wie die von Olsen oder auch von Gerhard Weiss.
Wer war es, Laura? Wer war mit dir im Pool? Warum hast du deine sorgfältig aufgebaute Isolation mit jemandem geteilt? Fabel starrte auf das Panorama und stellte einer toten Frau Fragen, die ihre Familie nicht hatte beantworten können. Fabel hatte Lauras Eltern auf ihrem großen Anwesen im Alten Land besucht. Es war eine erschütternde Erfahrung gewesen. Lauras Bruder Hubert hatte Fabel seinen Eltern vorgestellt. Peter von Klosterstadt und seine Frau Margarethe waren die Verkörperung aristokratischer Gelassenheit, doch Peter hatte angespannt gewirkt. Die Kombination aus Jetlag und Kummer ließsich an seinen Augen und der Mattheit seiner Reaktionen ablesen. Margarethe von Klosterstadt hingegen wirkte eiskalt und gefasst. Ihr Mangel an Emotionen hatte Fabel an seine ersten Eindrücke von Hubert erinnert. Laura hatte ihre Schönheit offenkundig von ihrer Mutter geerbt, aber in Margarethes Fall war es eine harsche, unerbittliche Schönheit. Sie musste Anfang fünfzig sein, doch ihre Figur und die Straffheit ihrer Haut hätten den Neid einer um die Hälfte jüngeren Frau erwecken können.
Zuerst hatte Fabel gedacht, sie betrachte Maria und ihn mit einer eingeübten Arroganz, bis er feststellte, dass ihre Züge stets den gleichen maskenhaften Ausdruck trugen. Fabel hatte sie vom ersten Moment ihrer Begegnung an nicht leiden können. Außerdem war er verstört darüber gewesen, welche sexuelle Anziehungskraft sie auf ihn ausübte.
Das Gespräch hatte wenig erbracht, abgesehen davon, dass Fabels Aufmerksamkeit auf Heinz Schnauber, Lauras Agenten, gelenkt worden war. Schnauber, der wohl engste Vertraute des Opfers, war außer sich über Lauras Tod. »Wie nicht anders zu erwarten«, hatte Margarethe von Klosterstadt kommentiert.
Fabel merkte, dass Susanne hinter ihm stand. Sie legte die Arme um seine Taille und ließ ihr Kinn auf seiner Schulter ruhen, während sie gemeinsam auf die Alster blickten. Er spürte die Wärme ihres Körpers an seinem Rücken.
»Entschuldige«, sagte er mit einer Drei-Uhr-morgens-Stimme. »Ich wollte dich nicht wecken.«
»Das macht nichts. Was ist los? Wieder ein Albtraum?«
Er wandte den Kopf und küsste sie. »Nein. Nur Dinge, die mir durch den Kopf gehen.«
»Was denn?«
Er drehte sich um, nahm sie in die Arme und küsste sie lange auf die Lippen. Dann sagte er: »Ich möchte, dass du mit mir nach Norddeich kommst. Es wäre schön, wenn du meine Mutter kennen lernst.«
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Hamburg-Norderstedt, Mittwoch, den 14. April, 10.30 Uhr
Henk Hermann hatte versucht, so etwas wie ein Gespräch in Gang zu halten, aber nach zahlreichen einsilbigen Antworten hatte er seine Bemühungen eingestellt. Nun schaute er aus dem Fenster und sah die Stadtlandschaft vorbeigleiten, während Anna sie nach Norderstedt fuhr. Als sie vor dem Haus der Familie Ehlers parkten, brachte Anna den ersten vollständigen Satz hervor, seit sie das Präsidium verlassen hatten.
»Ich bin für die Befragung zuständig, okay? Deine Aufgabe ist es, den Mund zu halten und etwas zu lernen. Ist das klar?«
Hermann seufzte und nickte. »Weiß Herr Klatt, dass wir hier sind? Der Mann von der Kripo Norderstedt?« Anna antwortete nicht und hatte bereits die Hälfte des Weges bis zur Haustür zurückgelegt, bevor Hermann seinen Sicherheitsgurt öffnen konnte.
Anna Wolff hatte Frau Ehlers angerufen, bevor sie aufgebrochen waren. Sie wollte den Eindruck vermeiden, dass die Polizei Paulas Leiche gefunden oder sonstige wichtige Fortschritte erzielt hatte. Deshalb hatte sie Frau Ehlers mitgeteilt, es sei erforderlich, noch gründlicher über einige Details zu sprechen. Anna hatte nicht erwähnt, welches Rätsel sie in erster Linie lösen wollte: warum der Zettel mit Paulas Namen in der Hand des »Wechselbalg«-Opfers zurückgelassen worden war. Auch verspürte sie einen überwältigenden Drang, Paula zu finden. Sie wollte unbedingt diejenige sein, die Paula zu ihrer Familie zurückbrachte, wenn auch wahrscheinlich nur in Form ihrer Überreste.
Zu Annas Überraschung war Herr Ehlers ebenfalls zu Hause. Ein hellblauer, mit einer feinen Staubschicht überzogener Overall hing sackartig über seiner großen, mageren Gestalt. Er
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