Jan Fabel 05 - Walküre
blickte jedoch über seine Schulter, um sicher zu sein, dass niemand in Hörweite war. »Wir alle sterben. Das habe ich von dir gelernt. Wir alle sterben allein, und viele von uns unter Schmerzen und voller Angst. An schrecklichen Krankheiten. Fürchterlichen Verletzungen. Und es kann ein schleichender Tod sein. Aber all meine Treffen werden rasch beendet, und die Zielpersonen haben kaum eine Ahnung, was mit ihnen geschieht. Manchmal überhaupt keine Ahnung: Sie empfinden nicht einmal für einen Sekundenbruchteil Furcht oder Schmerz.
Möglicherweise rette ich sie sogar vor großen künftigen Qualen und Leiden. So hast du mich ausgebildet. Das, was ich tue, verursacht mir keine Gewissensbisse. Davor hast du mich bewahrt.«
»Obwohl wir nun Geld dafür nehmen?«
»Es ist nicht unsere Schuld, dass wir es nicht mehr für den Staat, sondern für uns selbst tun. Sie haben die Welt um uns herum verändert. Wir sind, was wir sind, du und ich. Wie jeder andere, der nach dem Fall der Mauer alle Bindungen verloren hat. Versuch, dir weniger Sorgen zu machen.« Sie verstaute den Memorystick in ihrer Handtasche und küsste ihn erneut auf die Wange. »Auf Wiedersehen, Onkel Georg.«
»Noch etwas«, sagte er, bevor sie aufgestanden war. »Wir werden vielleicht ein zusätzliches Treffen arrangieren müssen. Nicht für einen Kunden.«
»Oh? Wir haben bisher nie ohne Bezahlung gearbeitet.«
»Bei der Sache geht es um unseren eigenen Schutz. Jemand fängt an, zu viele Fragen an den richtigen Orten zu stellen. Ein Polizist. Er könnte uns zu dicht auf der Spur sein. Vielleicht werden wir uns um ihn kümmern müssen. Diskret.«
»Wann?«
»Ich gebe dir Bescheid. Kann aber auch sein, dass es nicht nötig ist. Auf Wiedersehen, mein Kind.«
»Auf Wiedersehen, Onkel Georg.«
Er blieb noch auf der Bank sitzen, versenkte die Hände in den Manteltaschen und versuchte, jenen Moment des Friedens wiederzufinden. Aber es gelang ihm nicht.
4.
Fabel fuhr um 10.30 Uhr ins Polizeipräsidium in Hamburg-Alsterdorf. Da er nur fünf Stunden hatte schlafen können, fühlte er sich matt und empfindungslos. Einen Teil des Morgens hatte er damit verbracht, sich auf das Teamgespräch vorzubereiten.
Seine Erschöpfung vertiefte sich, als er im Lift auf Kriminaldirektor Horst van Heiden traf.
»Auf ein Wort, Jan ...« Van Heiden drückte den Knopf für die fünfte Etage, auf der die hohen Tiere untergebracht waren. Es handelte sich also um ein amtliches Wort.
Fabel folgte van Heiden in dessen Büro und setzte sich. Nachdem der Kriminaldirektor auf dem Lederchefsessel hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, zog er seine Krawatte gerade und rückte ein Notizbuch und einen Stift auf der Tischplatte zurecht. Sobald die Ordnung in seinem bürokratischen Universum wiederhergestellt war, blickte er auf.
»Ich wollte mit Ihnen über ein paar Dinge sprechen. Hätten Sie Zeit für die Konferenz über Gewalt gegen Frauen? Die Organisatorin hat mich schon wieder angerufen. Ich glaube, sie befürchtet, dass wir einen untergeordneten Beamten schicken.«
»Dazu könnte es kommen, wenn ich ehrlich bin.«
»Der Mord gestern Nacht?«, fragte van Heiden.
»Ich nehme an, das war eines der Dinge, über die Sie mit mir reden wollten ...« Fabel gelang es nicht, die Müdigkeit in seiner Stimme zu unterdrücken.
»Sämtliche Medien berichten darüber«, sagte van Heiden. »Und manche Leute geben uns die Schuld, weil wir den Engel nicht gleich beim ersten Mal gefasst haben. - Wenn wir es hierbei überhaupt mit derselben Frau zu tun haben.«
»Das weiß ich nicht, aber ich halte es für eher unwahrscheinlich. Der Modus operandi ist völlig anders. Aber ich werde mir all die alten Akten vornehmen. Natürlich war es beim ersten Mal nicht meine Ermittlung.«
»Mmm ...« Van Heiden stupste den silbernen Stift ein paar Millimeter zur Seite. »Das ist es eben ... Ich möchte ganz offen sein, Jan. Wir bekommen erhebliche Mittel vom Bundeskriminalamt, damit Sie die Supermordkommission einrichten können. Es ist eine große Auszeichnung für die Polizei Hamburg, eine Abteilung mit bundesweiter Zuständigkeit zu haben. Innerhalb der juristischen Grenzen, meine ich.« Van Heiden fuhr fort: »Wie ich Ihnen schon erklärt habe, ist es eine Chance für uns, zum Elitezentrum für die Untersuchung komplexer Serienmorde zu werden, ähnlich wie das Institut für Rechtsmedizin in Eppendorf eine Führungsrolle auf seinem Gebiet
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