Jan Fabel 05 - Walküre
nichts dagegen, dass du deine Individualität zum Ausdruck bringst, Anna. Wogegen ich etwas habe, ist die Tatsache, dass du dich nicht wie ein Teammitglied verhältst.« Fabel merkte, dass er die Stimme erhoben hatte. Er atmete tief durch und fuhr in ruhigem Tonfall fort: »Ich kann mir eine Rebellin in meinem Team nicht leisten, Anna.«
»Darauf könnte ich wetten.« Sie war einem Hohnlächeln nahe. »Das würde deine Chancen durchkreuzen, der größte Verbrechensbekämpfer in Deutschland zu werden. Was ist los, Jan? Hast du Angst, dass ich dich in Verlegenheit bringen könnte?« Diesmal war es Anna, die innehielt. »Es tut mir leid, aber dies ist der Ort, an dem ich arbeiten möchte. Wenn du mich versetzen lässt, werde ich kündigen.«
»Das ist deine Entscheidung. Und glaube mir, ich habe mir gewünscht, dass sich die Dinge anders entwickeln würden. Ich wollte dich neben Werner zur Steilvertreterin befördern lassen. Aber wegen deiner Haltung kann ich dich nicht als Oberkommissarin empfehlen.«
»Hast du die Papiere schon eingereicht?«, fragte Anna. »Für meine Versetzung, meine ich.«
»Noch nicht. Zuerst möchte ich mit den Untersuchungen zu diesem neuen Engel-Fall beginnen. Außerdem möchte ich dir die Möglichkeit geben, deine Versetzung selbst zu beantragen. Das würde in deinem Lebenslauf besser aussehen.«
»Lass mich bis zum Ende dieses Falles bleiben, Chef. Dann gehe ich friedlich.«
»Einverstanden.« Fabel zögerte einen Moment lang. »Hier fehlt es ohnehin an Personal. Aber solange du noch zu diesem Team gehörst, musst du deine Unabhängigkeit ein bisschen zügeln.«
Nachdem Anna das Büro verlassen hatte, blickte Fabel aus dem Fenster über die mit Reif bedeckten Baumkronen des Winterhuder Stadtparks hinweg. Annas Gesichtsausdruck ging ihm nicht aus dem Sinn. Er erinnerte sich an die eifrige, doch stachelige junge Frau, die er vor fünf Jahren in die Mordkommission übernommen hatte. Ihre Energie und Dynamik hatten ihn davon überzeugt, dass sie ein Gewinn für das Team sein würde. Doch irgendwie und irgendwann in diesen fünf Jahren hatte er verlernt, richtig mit ihr umzugehen.
Seine Gedanken wurden durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Es war Ulrich Wagner vom Bundeskriminalamt. Fabel mochte Wagner, aber er hätte gut auf die Ablenkung verzichten können. Ihm lag daran, sich weiter auf das Teamgespräch vorzubereiten. Nach dem üblichen Geplauder kam Wagner zur Sache. »Es ist eine bundesweite Fahndung beschlossen worden. Ich weiß nicht, vielleicht hast du es gesehen ... über Margarethe Paulus.«
»Tut mir leid, habe ich nicht«, sagte Fabel. »Ich bin völlig von dem St.-Pauli-Mord in Anspruch genommen. Der angeblichen Rückkehr des sogenannten Engels von St. Pauli.«
»Hm, das ist in gewisser Weise der Grund für meinen Anruf. Margarethe Paulus war in der Psychiatrie in Mecklenburg, die nicht weit von euch entfernt ist, untergebracht. Seit dreizehn Jahren. Vor drei Tagen hat sie beschlossen, sich selbst zu entlassen. Seitdem gibt es keine Spur mehr von ihr. Margarethe Paulus gilt als äußerst gefährliche Frau. Bevor sie eingewiesen wurde, kam es zu zahlreichen bewaffneten Raubüberfällen, die alle von einer einzelnen Frau ausgeführt wurden. Sehr cool und gut organisiert. Jedes Mal waren es eine völlig anders aussehende Frau und ein ganz anderes Objekt: eine Bank, dann ein Geschäft, dann ein Geldtransporter. Aber immer ging es um Bares, nie um Juwelen oder dergleichen, das man über einen Hehler verkaufen müsste. Also war kein Dritter in die Sache verwickelt.«
»Und wie ist sie dann entlarvt worden?«, fragte Fabel.
»Ist sie nicht. Die Mecklenburger Polizei konnte nie genug Material sammeln, um die Frau zu identifizieren, geschweige denn, um Margarethe Paulus zu fassen. Aber sie fing an, größere Pläne zu schmieden und sich nach Komplizen umzusehen. Zumindest ist das unser Eindruck. Sie ließ sich mit einer Bikerbande ein. Nach ihren eigenen Angaben hat sie sich mit den Bikern getroffen, um über eine mögliche Zusammenarbeit zu verhandeln. Aber die Biker hatten kein Interesse, und es gab Zoff. Drei Bandenmitglieder versuchten, sie zu vergewaltigen.«
»Versuchten?«
»Ich habe die Tatortfotos gesehen, Jan. Es ist fast unmöglich zu glauben, dass eine einzige Frau, allein gegen drei hartgesottene Schurken, all das angerichtet haben soll. Aber die Spurensicherung lässt keinen Zweifel daran.«
»Sie hat alle drei getötet?«
»Mehr
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