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Jan Fabel 05 - Walküre

Titel: Jan Fabel 05 - Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Tötung, während der Gewalt selbst.«
    »Aber das wäre bei einer Mörderin extrem selten, nicht wahr?«, fragte Fabel.
    »Richtig«, erwiderte Susanne. »Es ist bei männlichen Se­rienmördern sehr verbreitet, doch bei Mörderinnen äußerst selten.«
    »Allerdings nicht undenkbar?«
    »Hast du von Irma Grese gehört?«
    »Der Hyäne von Belsen?«, sagte Fabel stirnrunzelnd. »Ja, natürlich.«
    »Sie war noch keine dreiundzwanzig Jahre alt, als sie gehenkt wurde. Also muss sie ihre Verbrechen mit neunzehn oder zwan­zig Jahren begonnen haben. Sie war ein kleines, schlichtes, nicht allzu intelligentes und völlig durchschnittliches Mädchen aus einer im Grunde antinationalsozialistischen Familie. Aber sie entwickelte eine Vorliebe für außerordentliche Grausamkeit. Es war ein psychischer und physischer Drang. Sie ließ sich eine Peit­sche aus Zellophan herstellen, die den Häftlingen bei der Be­strafung ins Fleisch schnitt. Auch erschoss sie Gefangene oder prügelte sie zu Tode, woraus sie offensichtlich Befriedigung zog. Alles deutet darauf hin, dass sie eine sexuelle Sadistin war.
    Psychologisch dient sie als Beispiel dafür, wie der weibliche Sexualtrieb in politische oder religiöse Hysterie umgelenkt wer­den kann. So war Irma Grese ein absolut fanatisches Mitglied des Bundes Deutscher Mädel. Eine Besessene. Diese Mädchen wurden im anfälligsten Alter und in einem wichtigen Stadium ihrer sexuellen Entwicklung in der nationalsozialistischen Ideo­logie unterwiesen. Fast alle Aufseherinnen in den Konzentra­tionslagern hatten dem Bund angehört, und Greses sexuelle Reifung fiel mit dem Erlangen einer Machtposition zusammen, in der sie Häftlinge physisch misshandeln konnte. Es war ein außergewöhnliches Umfeld und ein außergewöhnlicher histori­scher Zeitpunkt.«
    »Und auch Irma Greses sexueller Sadismus war außerge­wöhnlich«, schloss Fabel den Gedanken ab.
    »Bei beiden Mordserien erscheint mir die Gewalt - die fach­kundige Gewalt - ganz und gar untypisch. Ein solches Verhal­ten braucht normalerweise sehr, sehr lange, um auszureifen.«
    »Also meinst du, es könnte dieselbe Mörderin sein?«, fragte Fabel irritiert.
     

8.
     
    Sie war jünger als viele der Frauen, mit denen er in letzter Zeit zusammen gewesen war. Jünger und attraktiver. Er war von Na­tur aus misstrauisch und überlegte, weshalb sie die Initiative er­griffen hatte. Aber so ungewöhnlich war das wiederum auch nicht. Jüngere Frauen wurden oft zu älteren Männern hingezo­gen - besonders zu solchen, die sie für geistig oder finanziell überlegen hielten. Hypergamie lautete der Fachbegriff. Er lä­chelte bei dem Gedanken.
    »Haben Sie Familie, Herr Gerdes?«, fragte Ute Cranz, die hereingekommen war, um die Suppe aufzutragen.
    »Keine eigene«, erwiderte er. »Ich habe drei Nichten, die ich sehr gern mag. Und Sie, Frau Cranz? Haben Sie Angehörige?«
    »Nein.« Sie machte ein trauriges Gesicht. »Es gab nur mei­nen verstorbenen Mann. Eigentlich hatte ich auch noch eine Schwester, aber sie ist sehr krank geworden und wohnt in einer Anstalt. Für immer.«
    »Oh ... Das tut mir sehr leid«, erklärte Gerdes.
    »Bitte sagen Sie Ute zu mir. Noch etwas Wein?«
    »Dann müssen Sie Robert zu mir sagen. Ja, danke. Wollen Sie immer noch nicht mittrinken?«
    »Vielleicht später. Ich trinke sehr selten, Robert. Schon kleine Mengen Alkohol machen mich beschwipst. Aber bitte, ich möchte, dass Sie den Abend genießen.«
    Gerdes nahm einen langen Schluck. »Wirklich sehr gut.«
    Er setzte sich, aß und trank und hörte Ute Cranz zu. Sie be­saß jene seltsame Fähigkeit, die vielen Frauen eigen zu sein schien: viel zu reden, ohne etwas zu sagen. Aber er lächelte und nickte und warf die richtigen Bemerkungen an der richtigen Stelle ein. Unzweifelhaft war sie eine attraktive Frau. Sie hatte große, dunkle Augen und langes, kastanienrotes Haar. Ihre Figur gefiel ihm: schlank, doch fraulich, wie ihm ihr enges, schimmerndes Kleid verriet. Gleichwohl machte ihm etwas an ihr zu schaffen. Er war sich sicher, ihr schon einmal begegnet zu sein.
    »Haben Sie schon immer in Hamburg gewohnt?«, fragte sie.
    »Lange genug, um mich für einen Einheimischen zu hal­ten«, antwortete er und hob erneut sein Glas. »Wie ist es mit Ihnen, Ute?«
    »O nein. Ich bin aus dem Osten hergezogen. Aus Mecklen­burg. Einem Ort namens Zarrentin. Klein, doch sehr hübsch. Am Schaalsee. Vor dem Fall der Mauer lag er direkt an der Grenze zum Westen. Wir hatten einen

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