Jan Fabel 06 - Tiefenangst
dich, bevor sie zurückkommt. Sie wird wollen, dass ich hierbleibe.«
»Alles klar, Jan?«, fragte Brüggemann mit ihrem tiefen Alt und setzte sich auf den Bettrand. »Hast du Zeit für eine kleine Plauderei? Oder hast du schon etwas geplant? Vielleicht ein Bad oder …«
»Sehr witzig, Nicola. Hast du dir von Anna Wolff Unterricht in Sarkasmus geben lassen?«
»Es gibt einige Dinge, die Anna mir beibringen könnte, Jan. Aber das gehört nicht dazu.«
Anna kehrte zurück und reichte ihm seine Kleidung. »Mach bloß schnell. Ich glaube, die Oberschwester weiß Bescheid und dampft gleich an. Ich muss los.«
Während Anna hinausging, schnitt Fabel eine Grimasse, und Brüggemann drehte ihm den Rücken zu, damit er aufstehen und sich anziehen konnte. Der Kopf schmerzte ihm immer noch, und er war ein wenig unsicher auf den Beinen.
»Was für ein Blödsinn, dass ich den Network-Killer-Fall übernehmen soll, weil du kompromittiert bist …«, sagte Brüggemann. »Ich habe ein paar Worte mit Kriminaldirektor van Heiden gewechselt, und er stimmt mir zu, dass die Sache nach dem Mordanschlag auf dich ein Haufen Scheiße ist.«
»›Ein Haufen Scheiße‹?« Fabel grinste. »Ich nehme an, dass du dich Horst van Heiden gegenüber etwas anders ausgedrückt hast. Übrigens bin ich fertig.«
Sie drehte sich um. »Ich habe mich genauso ausgedrückt. Weißt du, für einen Beamten mit einer so langen Dienstzeit, der allerlei erlebt haben muss, ist er wirklich sehr leicht zu schockieren. Jedenfalls meint er auch, dass diejenigen, die versuchen, dich zu belasten, nun ein direkteres Verfahren gewählt haben. Deshalb ist er damit einverstanden, dass du die Ermittlung wieder leitest.«
»Möchtest du aussteigen?«, fragte Fabel.
»Nicht unbedingt. Ich stecke mitten in dem Fall und möchte weitermachen. Unter deiner Leitung natürlich. Wenn du nichts dagegen hast. Außerdem ist das ja sowieso passiert. Inoffiziell.«
»Wie hat das Team für dich gearbeitet?«
»Wunderbar. Du hast eine tolle Truppe zusammengestellt, Jan. Werner ist ein Star. Dirk, Henk, Thomas und die anderen sind wirklich gut. Anna kann ein bisschen … quirlig sein.« Sie grinste.
»Nicola, ist das eine Bewerbung?«
»Kann sein, Jan. Ich weiß, dass dir eine Führungskraft fehlt, seit Maria Klee …« Sie brach ab. Alle hatten gelernt, auf Zehenspitzen um das, was Maria Klee zugestoßen war, herumzuschleichen. »Wir beide haben immer gut zusammengearbeitet. Für mich wäre es eine nützliche Herausforderung, und du könntest Unterstützung gebrauchen. Aber wenn du meinst, dass ich der Sache nicht gewachsen bin …«
»Sei nicht albern, Nicola. Du weißt, dass ich große Stücke auf dich halte. Aber du hast dein eigenes Team. Bist du sicher, dass du wieder die zweite Geige spielen willst?«
»Dein Team ist bundesweit bekannt, Jan. Niemand wird meinen, dass es ein Rückschritt für mich ist. Und es gibt eine Grenze dafür, wie lange man in der Abteilung für Verbrechen an Kindern arbeiten kann, bevor es einem wirklich zu schaffen macht.«
Fabel nickte. Er konnte es sich vorstellen. Die Abteilung befand sich im selben Stockwerk wie die Mordkommission, und Fabel ging häufig an ihr vorbei. Ein Raum, der sich auffällig hell und bunt von der Farbgebung des übrigen Präsidiums abhob, war – mit Spielzeug und Büchern – als Kinderzimmer eingerichtet. Es diente dazu, Kindern, die hierhergebracht wurden, die Nervosität zu nehmen. Hier war es ungefährlich, ein Kind zu sein. Fabel dachte immer wieder daran, welchen Preis alle Gäste zahlen mussten, bevor sie in dem Zimmer spielen durften.
»Übrigens habe ich auch Erfahrung im Umgang mit dem Computerfreak Kroeger. Wie ich höre, versteht ihr euch nicht besonders gut. Ich arbeite in meiner Abteilung eng mit ihm zusammen. Manchmal ist er unbezahlbar, und wir kommen gut miteinander aus. Wenn ich mich weiter mit dem Network-Killer-Fall beschäftige, könnte ich vielleicht eine konstruktivere Verbindung zum IT-Team herstellen.«
»Ach ja … ich brauche dich wegen deiner sozialen Kompetenz.« Fabel lächelte. »Okay, Nicola, lass mich mit dem Kriminaldirektor darüber reden. Selbstverständlich würde ich gern auf deine Erfahrung und deine Fähigkeiten zurückgreifen, aber Herr van Heiden wird einen Ersatz für dich finden müssen.«
»Meine Stellvertreterin steht bereit, aber natürlich muss dann ein Ersatz für sie gefunden werden.«
»Abgesehen davon, dass du mir deinen Werdegang anpreisen
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