Jan Tabak geht aufs Ganze
Vater ist entweder Bauer und verkauft seine Produkte, oder er geht arbeiten und kriegt Lohn oder ein Gehalt. Aber du, wie machst du das? Du bist kein Bauer mit deinen drei Kühen und gehst nicht arbeiten. Also mußt du entweder eine gute Rente bekommen oder eine Erbschaft gemacht haben. Anders kann ich mir das nicht erklären.“ Jan Tabak schmunzelte.
„Meinst du nicht, daß es noch mehr Möglichkeiten gibt, zu Geld zu kommen?“ fragte er.
„Klar!“ rief Nicole. „Man kann in eine Sparkasse einbrechen.“
„Hör auf, du spinnst!“ wehrte Tim ab. „Glaubst du, daß Onkel Jan so etwas tut?“
„Aber eine Möglichkeit ist es, das mußt du zugeben“, beharrte Nicole trotzig. Der Junge tippte sich an die Stirn.
„Wir sprechen von einem ehrlichen Broterwerb“, erklärte er.
Jan Tabak zündete sich die Pfeife an und legte den Hammer beiseite. „Kommt mit, wir machen einen kleinen Spaziergang“, forderte er die Kinder auf. „Dabei kann ich euch zeigen, wie ich mein Brot verdiene.“
Gemeinsam gingen sie vors Haus und auf der asphaltierten Deichkrone entlang. Lady trottete neben ihnen her.
„Hier an der Wümme“, begann Jan, „gibt es nur Weiden. Guckt euch um: soweit das Auge reicht, ist alles grün. Roggen oder Kartoffeln würden hier gar nicht gedeihen, der Boden ist viel zu naß. Ja, früher, bevor die Schleuse in Ritterhude gebaut war, überschwemmte das Hochwasser oft das ganze Gebiet bis nach Bremen. Die Bauern betreiben darum nur Viehwirtschaft. Bis vor drei Jahren hatte auch ich noch fünfundvierzig Kopf Vieh auf der Weide. Aber dann kam mir das Glück in die Quere, in Gestalt eines eifrigen Mannes, der Land suchte, um Häuser bauen zu können.“
„Ich verstehe“, rief Tim, „dem hast du einige Weiden verkauft, und er hat ein paar Wolkenkratzer drauf gesetzt.“
„Nee“, sagte Jan, „Weiden wollte der nicht haben, er spekulierte auf meinen Kartoffelacker in Ritterhude, den ich da auf der Geest liegen hatte. Da ist es trocken und sandig, und du brauchst keine Entwässerungsgräben zu ziehen. Ich wollte erst gar nicht verkaufen, man trennt sich ja nicht gern von Grund und Boden, aber dann habe ich mir die Sache mal durchgerechnet und festgestellt, daß ich von dem Erlös aus dem Kartoffelacker etwa zwanzig Jahre mit meiner Frau ganz gut und bequem leben könnte. Tja, und da ging ich natürlich auf das Geschäft ein. Nun brauche ich mit meinen fünfundsechzig Jahren nicht mehr zu arbeiten und kann den ganzen Tag tun und treiben, was ich will. Dazu habe ich, wie ihr wohl schon gemerkt habt, ein ganz besonderes Talent.“
Jan klopfte seine Pfeife am Absatz aus und stopfte sie neu.
„Ihr seht doch da drüben den Geestrücken?“ sagte er dann und wies mit der Hand nach Osten.
„Wo die Bäume anfangen?“ fragte Nicole.
„Jawohl, genau da. Einen Daumensprung von den Bäumen nach rechts steht ein sehr hohes weißes Gebäude. Könnt ihr das erkennen?“
Das mit dem schwarzen Dach?“ fragte Tim.
Nein, weiter links, das mit dem roten.“
Ich sehe es!“ rief Nicole. „Daneben steht noch ein etwas kleineres.“
Richtig“, bestätigte Jan. „Die beiden Häuser stehen auf meinem Kartoffelacker. Nicht sie allein, dahinter sind noch einige, aber sie sind die einzigen, die man von hier aus sehen kann. Dreihunderttausend Mark habe ich dafür gekriegt. Ein schönes Stück Geld, nicht? Ein Teil davon liegt nun in Bremen auf der Sparkasse, von dem heben wir das ab, was wir zum Leben brauchen. Für das andere haben wir Aktien und andere Wertpapiere gekauft, über einen Fachmann, versteht ihr? Dafür bekommt man eine ganze Menge Zinsen, wenn man Glück hat. Und das habe ich meistens. Meinetwegen kannst du das morgen deinem Lehrer und den Mitschülern erzählen, vielleicht kommen dann auch noch andere Familienväter auf den Trick, ihren Acker zu verkaufen und sich einen schönen Feierabend zu machen.“
„Vorausgesetzt, sie haben einen Acker“, sagte Tim, „sonst müssen sie sich wohl was anderes einfallen lassen.“
Am Abend hätte Tim gern das Motorbootfahren von seinem Onkel gelernt, aber Jan Tabak vertröstete ihn auf einen andern Tag. „Heute geht es leider nicht“, sagte er, „heute fahre ich in die Volkshochschule, wie jeden Donnerstag.“
„Volkshochschule?“ wunderte sich Nicole. „Was lernst du denn da?“
„Och, alles Mögliche“, antwortete Jan Tabak, „so von Land und Leuten hüben und drüben, weißt du, und jedesmal was Neues. Man muß ja was tun, wenn man
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