Jane Christo - Blanche - 01
stecknadelkopfgroße Kugel. Sie war schwarz und blitzte bei jeder Bewegung metallisch auf, als würde darin ein Gewitter toben. Vorsichtig drehte sie die Waffe hin und her. Erstaunlicherweise bewegte sich das Kügelchen keinen Millimeter, als wäre es nicht an die Schwerkraft gebunden. Wie merkwürdig. Leider war dies der falsche Ort, das Ding genauer zu untersuchen, also steckte sie es in den Hosenbund ihrer Cargohose, wohl wissend, dass das ins Auge gehen konnte. Aber sie hatte ihre Munitionstasche im Appartement gelassen und beide Schulterholster waren bereits belegt. Beliar würde sie sicher keine Waffe geben, auch wenn sein langer Ledermantel die ideale Tarnung für ein kleines Arsenal bot. Was er sich darunter wohl an seinen Körper geheftet hatte? Darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.
Na schön, das hier hatte nichts gebracht. Es wurde Zeit, ihre Kontakte bei den Straßenspitzeln aufzufrischen.
Sie fand Nella in der offenen Toreinfahrt am Boulevard de Denain Nummer sieben zwischen einem Lederwarengeschäft, vor dem sich jede Menge Koffer türmten, und einem ‚Subway‘. An der gleichen Stelle hatte sie vor fünf Jahren gestanden, als sie Paris verlassen musste. Nella, oder besser Antonella, war in ihrem Alter und ging seit dem vierzehnten Lebensjahr auf den Strich. Früher oder später wäre Blanche auch hier gelandet, schätzungsweise, nachdem diese Typen Andrej verschleppt hatten. Doch während sie noch einmal davongekommen war, hatte Nella die Arschkarte gezogen.
„Hi Nella.“
„Blanche.“ Nella nickte ihr zu.
„Wie läuft’s?“
„Nichts los. Und bei dir?“
Blanche zuckte die Achseln.
„Seit wann biste wieder zurück?“
„Bin heute angekommen.“
Wieder ein Nicken. „Das mit Wayne. Ziemlich schlimm. Er war in Ordnung.“
„Hast du heute schon was gegessen?“
Nella schnaubte. „Pierre, dieses Arschloch, ist nicht aufgekreuzt. Ich frier mir hier die Hacken ab und schieb Kohldampf.“
Blanche deutete mit dem Kinn zu einer Pizzeria mit roter Markise, drei Läden weiter. „Ich lad dich ein.“
„Nee. Wenn Pierre kommt …“
„Aber er kommt nicht. Wenn wir uns ans Fenster setzen, siehst du ihn, falls er sich doch noch blicken lässt, und bist an deinem Platz, bevor er etwas merkt.“
„Und wenn er es doch mitkriegt?“
„Dann warst du eben pinkeln.“
Sie zögerte einen Augenblick, dann seufzte sie leise und stöckelte auf ihren High Heels neben ihr her. Blanche drückte ihr unauffällig einen gefalteten Hunderteuroschein in die Hand, der prompt in ihrem Ausschnitt verschwand.
„Was brauchst du?“, fragte Nella geschäftsmäßig.
„Informationen.“
„Kann ich mir denken.“
Blanche hatte Beliar vorausgeschickt, weil sie wusste, dass Nella vor einem Fremden nicht reden würde. Nun saß er an einem Fensterplatz und, ganz Gentleman, stand auf, als sie die Pizzeria betraten. Blanche rollte mit den Augen. „Nella, das ist … ähm, ein Freund. Er ist sauber, also …“
„Massimo, eh?“ Nella beäugte den Kellner, der neben Beliar aufgetaucht war.
„Nicht den, ich meine …“ Ihr Blick ruhte auf dem Möchtegern-Dämon, der mit amüsiert funkelnden Augen leicht den Kopf schüttelte. Blanche kräuselte die Stirn und sah wieder zu Nella, die mit der Bedienung flirtete, ohne Beliar die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Wie konnte sie ihn ignorieren? Seine Erscheinung war in dieser Kaschemme eine kleine Sensation. Ein Hüne, gebaut wie eine Kriegsmaschine, noch dazu voller Narben an Gesicht und Händen. Selbst ohne Sonnenbrille ließ er die Matrix-Typen wie Milchgesichter aussehen. Wie wahrscheinlich war es, dass Nella ihn nicht bemerkte?
„Sie kann dich nicht sehen“, zischte sie in seine Richtung.
„Wie scharfsinnig du bist.“
„Aber …“
„Du hast gesagt, sie redet nicht vor Fremden, also …“ Er ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen.
Blanche stöhnte innerlich. Na toll, das war die Erklärung. Sie bildete sich diesen Typen nur ein – niemand außer ihr konnte ihn sehen! Hallo Nella, darf ich dir meinen neuen besten Freund vorstellen? Er ist ein Dämon und kann Feuer speien. Und du solltest mal seine Flügel sehen, die sind sen-sa-tionell! Ups, hab ich ganz vergessen: Er ist ja unsichtbar, wie dumm von mir.
War das vielleicht eine Art Nervenzusammenbruch? Ein Schock als Folge von Waynes Tod? Dummerweise hatte sie noch nie Zeit für einen Zusammenbruch gehabt, darum konnte sie diese Frage nicht beantworten. In jedem Fall war sie
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