Jane Christo - Blanche - 01
die Hintertür vom Acker machte.
Ohne mich!, dachte sie und zog den Stift. Eine weitere Handgranate flog in hohem Bogen durch die Luft und landete klirrend auf dem Gasherd. Ein russischer Fluch zerriss die plötzlich eingetretene Stille, eine Warnung wurde gebrüllt, dann explodierte die Küche mit einem ohrenbetäubenden Knall. Blanche hatte sich hinter der Theke zwischen zwei massiven Tischplatten verschanzt. Eine zog sie wie eine Decke über ihren Kopf, sodass die Detonation über sie hinwegfegte. Sie verharrte einen Augenblick für den Fall, dass die offene Gasleitung weitere Explosionen verursachte. Als alles ruhig blieb, wuchtete sie die Holzplatten zur Seite und rappelte sich auf.
Dann hörte sie endlich das Geräusch, auf das sie gewartet hatte. Maschinenpistolen. Enzos Männer waren eingetroffen – das wurde auch Zeit. Sie hoffte, dass die Italiener die Ausgänge von Zoeys Kellerlöchern besetzten und ihrer Beute den Fluchtweg abschnitten.
Rasch überprüfte sie noch einmal ihre Ausrüstung. Bisher hatte sie acht Schuss abgegeben und war die Hälfte der Granaten los. Sie wechselte das Magazin der SIG und schraubte den Schalldämpfer ab. Danach machte sie sich auf den Weg in die Küche.
„Schatz, ich bin zu Hause“, sagte sie und zählte die Toten, während sie den zerstörten Raum durchquerte. Sie hatte fünf von Zoeys Ratten erwischt, keine, die sie kannte.
Plötzlich bebte die Erde unter ihren Füßen und von draußen erklang ein vielstimmiger Aufschrei, der nicht von dieser Welt zu kommen schien.
Heilige Scheiße, das mussten Beliars höllische Kollegen sein.
Sie blickte zurück. Ob er in der Klemme saß und Hilfe brauchte? Abermals schrie einer der Dämonen – war das Barfael? – und diesmal klang er noch wütender. Ihre Mundwinkel hoben sich, denn was sie hörte, war eindeutig ein Wutschrei und je zorniger Beliars Gegner waren, desto besser für ihn.
Dem Gebrüll folgte eine Explosion, deren Druckwelle sie nach vorn warf. Besser, sie verschwand im Keller, bevor es sich der zweite Gasherd anders überlegte und doch noch in die Luft flog.
Die Tür zum Untergeschoss war aus den Angeln geflogen und von zahlreichen Kisten blockiert. Blanche wischte Dreck und Staub beiseite und las die Aufschrift, die in fetten Lettern auf der Holzkiste prangte: ARMOR ORUZHIYA. Also, das hieß sicher nicht
Verderbliche Ware
. Vielmehr sollte das Enzos Verderben sein, denn der olivfarbene Zylinder, der aus der Kiste ragte, war ein Panzerabwehrohr. Raketengetriebene Waffen. Nicht übel! Zoey wollte tatsächlich den Laden übernehmen – dafür brauchte er die vielen Männer. Blieb die Frage, ob er Enzo ausschalten wollte oder dessen Sankt-Petersburger Konkurrenz. Wahrscheinlich Letztere, immerhin hatten sie ihn in Schimpf und Schande zurück zu seiner Babuschka nach Moskau geschickt. Zoey war ein rachsüchtiger Bastard. Bevor er seine Aufmerksamkeit Enzo zuwenden würde, musste Sergej dran glauben.
Eigentlich müsste dieser beschissene Patronowitsch mit seinen Leuten hier sein, schließlich sorgten Enzos Männer dafür, dass er auch weiterhin Oberboss der Pariser Russenmafia spielen durfte. Warum waren die Drecksschweine nie da, wo man sie brauchte? Mit dieser Frage im Hinterkopf zog sie den Sicherheitsstift und warf Handgranate Nummer sechs die Kellertreppe runter. Während sie schutzsuchend in die gegenüberliegenden Toiletten sprang, verstand sie mit einem Mal, warum Wayne seinen Job mit dem eines Schädlingsbekämpfers verglichen hatte. Was sie hier tat, war nichts anderes, als Ungeziefer auszumerzen. Kein Blattschuss, keine saubere Arbeit, nach der sie im Schutz der Dunkelheit lautlos in der Nacht verschwand. Das hier war eine Riesensauerei, und wenn es nicht um Wayne ginge, hätte sie sich niemals auf dieses Blutbad eingelassen. Wer von den Mafiabossen Paris regierte, war ihr herzlich egal. Jeder für sich war ein Hurensohn, der nichts Eigenes erschuf, sondern sich an der Arbeit anderer bereicherte. Schutzgelderpressung, Entführung, Waffenschmuggel, Drogen und Prostitution. Mädchen wie Nella ermöglichten diesen Schlappschwänzen ihre Version von la dolce vita. Aber das war nicht das süße Leben, es war bloß ein faules. Sie waren Parasiten, die sich in Paris eingenistet hatten, andere aussaugten und dann so taten, als wäre es ihr gottgegebenes Recht.
Dabei fiel ihr Renée ein, die wahrscheinlich irgendwo in diesem Keller festgehalten wurde. Wenn sie weiter vordrang, durfte sie keine Granaten mehr
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