Jane Christo - Blanche - 01
trat zwei Schritte zurück. Als Antoine die scharfe Handgranate in ihrer freien Hand bemerkte, stieß er ein Quieken aus und lenkte damit die Aufmerksamkeit erst auf sich, dann auf Blanches Granate. Sie hielt den Schalthebel gedrückt, doch der Sicherungsstift fehlte, was im Klartext bedeutete: Falls sie jemand angriff, wären sie alle tot. Blondie mahlte mit den Zähnen, behielt jedoch einen kühlen Kopf und zeigte ihr seine leeren Hände.
Kluges Kerlchen. Rasch sah sie sich in dem neuen Raum hinter dem Lolitaregal um. Hier gab es keine DVDs, dafür jede Menge Holzkisten mit Waffen, Munition und Sprengstoff. Statt verkleideter Bauarbeiter standen vier von Enzos Männern in feinem Zwirn neben einem Schreibtisch. Dahinter saß Leo, der, wenn das überhaupt möglich war, noch beschissener aussah als beim letzten Mal. Offensichtlich war es ihm nicht gut ergangen, dennoch lächelte er, als sie eintrat.
„Ich mag deinen Stil“, sagte er und grinste von einem Ohr zum anderen. Sie entspannte sich ein wenig. Leo eingeschlossen befanden sich fünf Männer im Raum, plus den Typen am Ende ihrer Mündung. Blanker Hass quoll aus seinen Augen, weil sie ihn vor seinen Freunden vorführte, aber das war ihr egal. Sie hatte Besseres zu tun, als Rücksicht auf die Gefühle gekränkter Totschläger zu nehmen.
Leo lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte etwas auf Italienisch zu den Männern, das sie nicht verstand. Sie zögerten einen Augenblick, dann verließen sie einer nach dem anderen den Raum, jedoch nicht, ohne ihr im Vorbeigehen einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.
Ihr mich auch, dachte sie und wies Antoine an, den Mund zu öffnen und zu verschwinden. Als sich die Tür hinter ihm schloss, sicherte Blanche die Granate, hielt die Waffe jedoch auf Leo gerichtet, der sich nicht rührte. Sie bat ihn, aufzustehen und durchsuchte ihn mit der freien Hand. Er war sauber, was sie nicht wunderte, denn Leo verschob zwar Waffen, doch er trug nie eine bei sich. Das musste er auch nicht, denn in Paris kannte man ihn als Enzos Mann. Wer ihn angriff, griff Enzo an, also blieb er unbehelligt. Na ja, zumindest, bis Zoey aufgekreuzt war.
Nachdem sie eine Entschuldigung gemurmelt hatte, erlaubte sie Leo, sich wieder zu setzen.
„Schon gut, Mädchen“, sagte er und stützte seine Unterarme auf den Schreibtisch.
Sie sah sich nach einem Stuhl um und begriff plötzlich, dass sie sich in einem gekachelten Herrenwaschraum befand. Die Toilettenkabinen waren entfernt worden, doch die Pissoirs hingen nach wie vor an der Wand, wo sie teilweise von gestapelten Kisten verdeckt wurden.
„Nettes Büro“, bemerkte sie und nahm am Rand einer Truhe Platz, deren Deckel nur lose auflag, sodass Holzwolle daraus hervorquoll. Da sie nun allein waren, steckte sie ihre Waffe zurück ins Halfter und richtete den Blick auf Leo.
„Ist nur vorübergehend. Wir ziehen weiter hoch, in die Nummer 108.“
„Ins alte Theater?“
Leo nickte. „Nach der Renovierung ist es ein Fitnesscenter.“ Er schmunzelte. „Mit einem netten Munitionslager im Keller.“
Mann, einmal im Leben Bauunternehmer für die Mafia sein, dann musste man über Geld nie wieder nachdenken. Sie räusperte sich. „Du weißt, dass Renée tot ist, oder?“
Leos Gesichtszüge froren ein. „Hast du sie gesehen?“
Blanche nickte, konnte ihn jedoch nicht ansehen.
„So schlimm also“, bemerkte er mit rauer Stimme.
„Es tut mir leid.“ Sie räusperte sich wieder und hielt den Blick auf ihre Hände gerichtet. „Es war zu spät für sie, aber wenigstens habe ich ein Dutzend von diesen Wichsern erledigt.“
„Das hätte ihr gefallen.“
Bei seiner Bemerkung sah sie überrascht auf und begriff, dass es ein Scherz sein sollte, doch seine Augen lächelten nicht.
„Was wirst du jetzt tun?“
„Enzo hat mir die Wetten angeboten und ein Stück vom Waffengeschäft. Aus dem Drogenhandel habe ich mich schon vor Jahren zurückgezogen, dafür ist Pierre noch zuständig.“
So wie er das
noch
betonte, sah es nicht gut für Pierre aus. „Was ist mit der Prostitution?“
„Darum kümmert sich Giacomo.“
„Und was macht Louis?“
„Schutzgeld.“
„Gibt es überhaupt noch einen Bereich, um den sich Enzo direkt kümmert?“
Leo schürzte die Lippen. „Er will in die Politik, darum intensiviert er seine Kontakte um Bertrand Delanoë.“
Der Bürgermeister von Paris? Fast hätte sie gelacht. Es war bekannt, dass Delanoë Ambitionen auf das Präsidentenamt hatte und über
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