Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
besänftigte sich, deine Stimme wurde weich. Es erfüllte mich mit Wonne, wenn du meinen Namen in so dankbaren, glücklichen Lauten aussprachst. Es machte mir Vergnügen, wenn ich dich durch einen Zufall traf, Jane. In deinem Benehmen lag etwas eigentümlich Zauderndes, du blicktest mich oft mit leiser Unruhe an, immer im Zweifel, welche Caprice mich wohl gerade treiben mochte – ob ich den Herrn spielen, streng und hart sein, oder den Freund herauskehren und wohlwollend sein würde. Ich hatte dich jetzt schon zu lieb gewonnen, um die erstere Rolle oft zu spielen; und wenn ich meine Hand freundlich ausstreckte, kam so viel Wonne und Licht und Farbe in deine jungen, traurigen Züge, dass ich mir oft Gewalt antun musste, um nicht die Arme auszubreiten und dich an mein Herz zu ziehen.«
»Sprechen Sie nicht mehr von jenen Tagen, Sir«, unterbrach ich ihn, indem ich verstohlen einige Tränen von meinen Wimpern trocknete. Seine Worte quälten mich, denn ich wusste, was ich tun musste – was ich bald tun musste, und all diese Erinnerungen, diese Offenbarungen seiner Gefühle machten mir meine Aufgabe nur noch schwerer.
»Nein, Jane«, erwiderte er, »wozu auch bei der Vergangenheit verweilen, wenn die Gegenwart so viel Gewissheit bietet und wenn die Zukunft so hell und klar ist?«
Ein Schauder erfasste mich, als ich diesen törichten Ausspruch vernahm.
»Du siehst jetzt, wie die Sache steht, nicht wahr?«, fuhr er fort. »Nachdem ich meine Jugend und meine Mannesjahre zur einen Hälfte in unsagbarem Elend, zur anderen in trauriger Einsamkeit zugebracht hatte, habe ich zum ersten Malgefunden, was ich wahrhaft lieben kann: Ich habe
dich
gefunden. Du bist mir seelenverwandt, bist mein besseres Ich, mein guter Engel – ich bin mit einer starken Kraft an dich gebunden. Ich glaube, dass du gut, begabt, klug und freundlich bist. Eine glühende, eine heilige Leidenschaft wohnt in meinem Herzen, sie strebt zu dir, sie zieht dich in mein innerstes Sein, an meinen Lebensquell. Diese Leidenschaft will dich ganz umfangen, und indem sie in einer reinen, mächtigen Flamme auflodert, verschmilzt sie dich und mich in eins!
Weil ich dies fühlte und wusste, beschloss ich, dich zu heiraten. Es ist ein blanker Hohn, mir zu entgegnen, dass ich bereits eine Gattin hätte. Du weißt jetzt, dass ich nur einen widerwärtigen, grauenhaften Dämon habe. Es war ein furchtbares Unrecht, dass ich versuchte, dich zu täuschen, aber ich fürchtete den Eigensinn, der in deinem Charakter liegt. Ich fürchtete früh eingeprägte Vorurteile; ich wollte dich in Sicherheit haben, bevor ich mich an jene vertraulichen Mitteilungen wagte. Das war feige. Zuerst hätte ich an deinen Edelmut und deine Großherzigkeit appellieren sollen, wie ich es jetzt tue – ich hätte mein ganzes qualvolles Leben vor dir offenbaren sollen, dir meinen Hunger, meinen Durst nach einem höheren, würdigeren Dasein beschreiben müssen. Ich hätte dir nicht meinen
Entschluss
– welch schwaches Wort! –, sondern mein unwiderstehliches
Verlangen
zeigen müssen, treu und innig zu lieben, wo ich treue und innige Gegenliebe finde. Dann erst hätte ich dich bitten dürfen, mein Gelübde der Treue anzunehmen und mir das deine zu geben. – Jane, gib es mir jetzt!«
Eine Pause.
»Weshalb schweigst du, Jane?«
Es war eine Qual; eine Hand aus glühendem Eisen griff mir nach dem Leben. Welch furchtbarer Augenblick voll Kampf, Dunkelheit und Flammen! Kein Mensch, der je gelebt hat, konnte sich eine größere Liebe wünschen als die,mit welcher ich geliebt wurde. Und ich betete den an, der mich so liebte! Dennoch musste ich meinem Abgott und meiner Liebe entsagen. Ein furchtbares Wort begriff meine entsetzliche Pflicht in sich: Fort!
»Jane, du verstehst doch, was ich von dir verlange? Nur dieses Versprechen: ›Ich will die Ihrige sein, Mr. Rochester!‹«
»Mr. Rochester, ich will
nicht
die Ihrige sein.«
Wieder langes Schweigen.
»Jane!«, begann er wieder mit einer Sanftmut und Zärtlichkeit, die mich beinahe zusammenbrechen ließ, die mir aber zugleich auch eiskalte Schauer der Angst bescherte, denn in dieser ruhigen Stimme war schon das Schnauben des erwachenden Löwen zu vernehmen.
»Jane, gedenkst du etwa deinen eigenen Weg im Leben zu gehen, während ich einen anderen einschlage?«
»Ja!«
»Jane«, er neigte sich zu mir und umarmte mich, »bist du wirklich dazu entschlossen?«
»Ja, das bin ich.«
»Und jetzt?« Er küsste mir Stirn und Wangen.
»Noch immer …«,
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