Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
doch die Gewissheit, dass der ›jetzige Mr. Edward‹ –
mein
Mr. Rochester, Gott segne ihn, wo er auch sein mochte! – am Leben war. Glücklich machende Worte! Mir war, als könne ich alles mit anhören, was jetzt noch kommen sollte, wie furchtbar die Enthüllungen auch sein mochten. Jetzt war ich wieder verhältnismäßigruhig geworden; er lag ja nicht im Grabe! Nun hätte ich es ertragen, wenn man mir erzählt hätte, dass er auf den Antipoden sei.
»Wohnt Mr. Rochester jetzt auch auf Thornfield Hall?«, fragte ich, obgleich ich die Antwort im Voraus wusste. Ich wollte aber eine direkte Frage in Bezug auf seinen Aufenthalt vermeiden.
»Nein, Madam, ach nein! Dort wohnt jetzt niemand. Ich vermute, dass Sie in dieser Gegend fremd sind, sonst würden Sie wissen, was sich im vorigen Herbst zugetragen hat. Thornfield Hall ist nur noch eine Ruine, gerade um die Erntezeit brannte es gänzlich ab. Ein furchtbares Unglück, solch eine ungeheure Menge wertvollen Eigentums zerstört! Von den Möbeln konnte fast nichts gerettet werden. Das Feuer brach mitten in der Nacht aus, und ehe die Spritzen aus Millcote ankamen, war das ganze Gebäude ein Flammenmeer. Es war ein grauenhafter Anblick. Ich war selbst dabei.«
»Mitten in der Nacht«, murmelte ich. Ja, das war die verhängnisvolle Stunde für Thornfield!
»Weiß man, wie das Feuer entstanden ist?«, fragte ich.
»Man
vermutet
es, Madam, man
vermutet
es. Ich für meinen Teil würde allerdings sagen, dass es ohne Zweifel feststeht. Wussten Sie denn …«, fuhr er fort, indem er seinen Stuhl näher an den Tisch rückte und im Flüsterton weitersprach, »… dass eine Dame … eine … eine Wahnsinnige im Haus eingesperrt war?«
»Ich habe etwas darüber gehört.«
»Sie war unter sehr strenger Bewachung, Madam. Viele Jahre hindurch wussten die Leute nichts Bestimmtes über ihr Dasein – ob diese Person wirklich existierte.
Niemand sah sie, und nur durch Gerüchte wusste man überhaupt, dass irgendjemand im Herrenhaus verborgen gehalten wird. Wer oder was es sei, wusste allerdings keiner. Man sagte, Mr. Edward habe sie aus der Fremde mitgebracht,und viele glaubten, sie sei seine Geliebte gewesen. Aber vor ungefähr einem Jahr passierte dann etwas Sonderbares – etwas sehr Sonderbares.«
Ich fürchtete jetzt, meine eigene Geschichte mit anhören zu müssen, deshalb versuchte ich, ihn zur Hauptsache zurückzuführen.
»Und diese Dame?«
»Diese Dame, Madam, erwies sich als Mr. Rochesters Gattin! Und die Entdeckung wurde auf die seltsamste Weise herbeigeführt: Im Herrenhaus war ein junges Mädchen, die Gouvernante, und Mr. Rochester …«
»Und das Feuer?«, unterbrach ich ihn.
»Das kommt gleich, Madam! – … und Mr. Rochester verliebte sich in sie. Die Dienstboten sagten, dass sie in ihrem ganzen Leben noch keinen so verliebten Menschen gesehen hätten wie ihn, ständig war er hinter ihr her. Sie bedeutete ihm mehr als alles andere auf der Welt, und die Angestellten beobachteten ihn – Sie wissen ja, Madam, wie Dienstboten nun einmal so sind. Außer Mr. Rochester fand niemand sie hübsch, sie war ein kleines, unbedeutendes Ding, heißt es, fast noch ein Kind. Ich selbst habe sie nie gesehen, aber Leah, das Stubenmädchen, hat mir von ihr erzählt. Leah hat sie sehr lieb gehabt. Mr. Rochester war ungefähr vierzig Jahre alt und diese Gouvernante noch nicht zwanzig. Und Sie wissen wohl, wenn Leute in seinen Jahren sich in junge Mädchen verlieben, so sind sie oft wie behext. Kurz und gut: Er wollte sie heiraten.«
»Diesen Teil der Geschichte können Sie mir ja ein andermal erzählen«, sagte ich. »Ich habe einen ganz besonderen Grund, weshalb ich die Geschichte der Feuersbrunst hören möchte. Vermutet man denn, dass diese wahnsinnige Mrs. Rochester die Hand dabei im Spiel hatte?«
»Sie haben es getroffen, Madam. Es ist ganz sicher, dass sie – und keine andere, als sie – das Haus angezündet hat. Es gab da ein Weib, das sie bewachen sollte, Mrs. Poole mitNamen. Eine ganz geschickte Person in ihrer Art und ganz vertrauenswürdig, aber sie hatte einen Fehler – einen Fehler, den beinahe alle alten Weiber und Krankenwärterinnen haben:
Sie trug immer eine private Flasche Gin mit sich herum
und nahm dann und wann einen Schluck über den Durst. Das war verzeihlich, denn sie hatte ein schweres Leben, aber zugleich war es auch gefährlich. Denn wenn Mrs. Poole nach ihrem Gin fest eingeschlafen war, so nahm die wahnsinnige Frau, die so listig und
Weitere Kostenlose Bücher