Jane Reloaded - Roman

die schimmerten und schillerten. Anfangs hatte sie noch Angst gehabt, bis sie verstand, wie alles funktionierte. Denn sie raste nicht wirklich in die Tiefe, sondern saß auf einer umlaufenden Bank und nur die Projektionen auf den Wänden bewegten die Bilder der Gesteinsschichten nach oben. Als ich vor einigen Jahren die Grube Messel besuchte, fragte ich nach dem Bohrlochraum und erfuhr, dass es ihn schon lange nicht mehr gebe. Zu alt und zu altmodisch sei er gewesen.
    Eine Woche vor meiner Abreise ins Laos-Labor stattete ich der Grube Messel einen Abschiedsbesuch ab, allein. Das Foto meiner Ururgroßmutter gab es immer noch, ziemlich vergilbt hing es in einem Bilderrahmen. Auf dem mit Gras bewachsenen Aussichtspunkt hinter dem Besucherzentrum blieb ich einige Zeit stehen und schaute sehr ehrfürchtig über den Zaun hinab in die Grube. Denn die Fossilienstätte steht als Menschheitserbe heute in einer stolzen Reihe zusammen mit der Serengeti und meinem geliebten Ngorongoro-Krater und den Galapagos-Inseln, diesem Labor der Evolution, die ich eines Tages unbedingt bereisen möchte. Von oben waren bunte Planen zu sehen, um die inzwischen strikt kontrollierten Grabungsstellen vor Sonne und Regen zu schützen. Noch viele Generationen nach mir werden hier durch ein wunderbares Fenster in die Urzeit schauen können.
    Als ich so dastand und schaute, wuchsen plötzlich Riesenfarne an den Hängen der Grube und statt Laubbäumen sah ich Palmen. Urpferdchen, kleiner als Ponys, grasten in den dichten Wäldern, Krokodile schwammen durch Sümpfe, Ameisenbären durchwühlten die Erde, überall flirrten unzählige Insekten. Ich schwitzte in der Hitze, denn dieses Fleckchen Erde lag vor 50 Millionen Jahren immerhin auf der Höhe von Sizilien. Erst mit der Zeit sollte es durch die Kontinentalverschiebung in den kälteren Norden gelangen.
    Die Landschaft war viel flacher, als sie heute ist, und ein grüner lückenloser Urwaldteppich erstreckte sich bis zum Horizont.
    Messel hat nicht nur in meiner Fantasie, sondern tatsächlich einmal so ausgesehen wie der südostasiatische Regenwald, auf den ich nun fast jeden Abend von meinem Lieblingsplatz im Laos-Labor hinunterschaue. Dort denke ich immer wieder an die erste Jane und dass mit ihr alles begann. Und manchmal fühlt sich auch das an wie »hundertmal Hautkribbeln beim ersten Kuss«.

5  BEGEGNUNGEN
    Die silberfelligen Affen springen aus den Baumkronen auf die niedrigen Äste, einige der Languren sitzen bereits hinter der Verandabrüstung aus Bambusstäben und beobachten neugierig die Menschenfrau. Das Rascheln der Notizblätter hat sie angelockt, die Jane an einem kleinen Holztisch sortiert hat. Sie wedelt sich mit einem Fächer Kühlung zu, den sie locker aus dem Handgelenk auf und ab schwingt, und beobachtet ihre tierischen Gäste.
    Inzwischen fühlt sie sich wohl in der tropischen Wärme, die sie wie Watte umgibt und das ganze Leben abfedert. Ihre Bewegungen sind langsamer geworden, und das macht sie selbst gelassener, auch Gregor gegenüber. Sie kann ihren Vater inzwischen besser verstehen und ihm sogar verzeihen, dass er nie wieder nach Frankfurt zurückgekehrt ist. Er hätte sich in der hektischen, kalten Europa-Metropole nicht mehr eingewöhnen können. Es passiert vielen, die länger in den Tropen leben, dass eine Art Hassliebe sie fesselt und träge macht. Etwas von diesem Schwanken zwischen Weggehen- und Bleibenwollen zerrt sogar schon an ihr, obwohl sie erst seit einer knappen Woche hier ist. Doch ein Tag kommt ihr fast wie ein Monat vor.
    Jane überfliegt noch einmal ihre in das Journal übertragenen Anmerkungen und Fragen zum Thema Sprache:
Späte Vertreter der Art Homo erectus kannten wahrscheinlich 60 bis 100 Sprachsignale, Worten vergleichbar. Genau das bestätigt LL-HEs-Y-10/III eindrucksvoll. Sein Repertoire aus 80 Signalwörtern wurde vom Team fast vollständig in einem HE-Wörterbuch erfasst. Frage: Sind die HE-Laute zum Teil angeboren?
Inwieweit sind sie identisch mit äffischen Lauten, also sehr alte Relikte?
Wo ist die Abgrenzung zur Ur- oder Protosprache? Zum Beispiel sind »Autsch« und »Au« (Ausdruck für Schmerz) bei HE-Laut und vermuteter Urform identisch.
Das Exemplar ist eindeutig hörfähig, Frequenz wie Homo sapiens , Lautbildung leicht eingeschränkt. Welche Vokale und Konsonanten genau? Weitere Aufzeichnungen nötig.
Grammatikstrukturen scheinbar nicht evolutionär vorhanden, aber eine sehr schnelle Lernfähigkeit.
Existiert nicht doch eine Art