Jane Reloaded - Roman
sie tatsächlich Müll deponieren!« Wenn sie als alte Frau schilderte, wie am Grubenrand bereits Rampen für Müllautos aufgetürmt und Straßen in die Grube getrieben worden waren, soll ihre Stimme immer noch vor Empörung gezittert und sich überschlagen haben.
Sie war sofort dabei, als eine Bürgerinitiative gegründet und Flugblätter verteilt wurden. Immer mehr Menschen jeden Alters kamen zu den Treffen, auch Wissenschaftler. Dass die Vorsitzende der BI eine junge Frau war, hatte Jane übrigens besonders motiviert, über die vielen Jahre dabeizubleiben, die angefüllt waren mit Versammlungen und Demonstrationen, zahllosen Eingaben und aufschiebenden Gerichtsurteilen. Der Erfolg kam am Ende aber anders als erwartet. Die Betreiber der geplanten Mülldeponie verzichteten Anfang der 1980er-Jahre freiwillig auf das Vorhaben. Es war »unrentabel« geworden; den Wohlstandsdreck waren sie bereits an anderer Stelle und billiger losgeworden.
Vierzig Jahre später erhielt Jane Schmidt eine Urkunde, die ihr Bürgerengagement für die Rettung der Grube würdigte, die inzwischen das »Pompeji der Paläontologie« genannt wurde. »Eine Schande! Aber auch zum Lachen!«, fand sie das, sie sagte jedoch auch: »Widerstand lohnt sich immer!« Denn im Jahre 1995 war Messel schließlich zum ersten Weltnaturerbe auf deutschem Boden gekürt worden.
Als zum 15. Jahrestag der Übergabe der UNESCO-Auszeichnung ein neues Besucherzentrum eröffnet wurde, hielt sie als Retterin der ersten Stunde eine kleine Ansprache, in der sie die Messel-Geschichte mit folgender Zukunftsanekdote ergänzte: »Stellen Sie sich bitte eine Geologieprüfung in Hunderttausenden von Jahren vor. ›Können Sie Aussagen zu diesem Handstück machen?‹, fragt die Professorin den Kandidaten. ›Es handelt sich um Müllit‹, antwortet der Student. ›Dieser Deponiestein ist einer der bekanntesten Anthropomarker. Gesteinsbildner war der Homo pseudosapiens. ‹«
Meine Ururgroßmutter sprach damals schon von einem »Zeitalter der Menschheit«, in das die Menschen nun eingetreten seien. Und genau das sollte später eine Passion meiner Mutter werden.
Es ist schon verrückt, wie die Dinge sich fügen, wiederholen, aufeinander aufbauen. Das wird mir immer klarer.
Das zweite Foto, das einen Ehrenplatz neben Lucy erhielt und das meine Großmutter später ebenfalls geerbt hat, zeigte ein kleines Skelett, das in Kunstharz eingebettet war und wie Bernstein schimmerte. Es sei aus Gold, dachte ich als kleines Kind immer, und deshalb besonders wertvoll. Wertvoll war es zwar, aber auf andere Weise. Als die Grube Messel noch frei zugänglich war, hatte ein Amateur-Paläontologe diesen besonderen Schatz gehoben und ihn jahrzehntelang stolz zu Hause aufbewahrt. Erst Anfang des 21. Jahrhunderts verkaufte er das katzengroße Fossil an eine Gruppe Wissenschaftler, von denen einer das junge Halbaffenweibchen auf den Namen seiner Tochter Ida taufte. Sie galt als das vollständigste und am besten erhaltene Primatenskelett der Welt. Kein Geringerer als Charles Darwin und natürlich der Fundort standen Pate für den Gattungsnamen: Darwinius masillae. Und die Tochter von Jane Schmidt sollte später sogar ihre Doktorarbeit über den noch immer erkennbaren Mageninhalt von Ida schreiben. Die katzengroße Halbäffin ähnelte übrigens den langschwänzigen Lemuren, die bis heute den Regenwald von Madagaskar bevölkern. Und manchmal habe ich meine Affen hier schon mit Ida-Ida-Rufen angelockt.
In die paläoanthropologische Frauengalerie unserer Familie schaffte es noch ein dritter Fund, dem meine Ururgroßmutter jedoch mit zwiespältigen Gefühlen einen Platz eingeräumt haben soll. Sie hatte immer davon geträumt, nach Afrika zu Ausgrabungen zu fahren und selbst einen solchen Sensationsfund zu machen. Nun hatte ein anderer dieses Glück gehabt und Ardi entdeckt, einen weiblichen Bodenaffen, Ardipithecus genannt, der uns Menschen nochmals ein Stück näher zu unseren Wurzeln brachte. Das Fossil zu bestimmen und zusammenzusetzen hatte fast fünfzehn Jahre gedauert mit dem Resultat, dass die Neue »älter als Lucy« und »vollständiger als Lucy« war, weil alle ihre Hand- und Fußknochen gefunden wurden. Eineinhalb Millionen Jahre vor Lucy konnte Ardi schon aufrecht gehen, jedoch tat sie es immer nur für kurze Zeit. Dennoch war sie kein stehen gebliebener Affe, sondern hatte auf ihren großen Füßen tatsächlich schon den Weg der Menschwerdung eingeschlagen. Jedenfalls entthronte sie im
Weitere Kostenlose Bücher