Jane Reloaded - Roman
Wohnzimmer.
Wohnlich ist hier nichts, denkt Jane, die kahle Wände hasst. Das Zimmer unterscheidet sich von den einzelnen Begegnungsräumen nur durch ein paar Möbel – es enthält gerade das Nötigste. Ein Paravent aus Bambusstäben lehnt gefaltet in einer Ecke. Auf einem Beistelltisch steht eine Schale Früchte.
Jamie sitzt im Schneidersitz auf einer flachen Liege und wartet bereits auf sie. Er trägt jetzt immer Hose und Hemd, der graue Baumwollstoff steht ihm gut. Sandalen aber verweigert er. Jane schiebt sich den Sesselstuhl bis auf knapp einen Meter heran.
Als sie sich hingesetzt hat, streckt Jamie sofort seinen Arm aus. Sie zögert keine Sekunde und ergreift seine nach oben geöffnete Hand. Heute ist der Händedruck für sie so berührend wie beim ersten Mal und trotzdem auf eine Art auch schon vertraut, selbstverständlicher.
»Hallo«, sagt Jane leise.
»Gut gesund.« Jamie macht keine Anstalten, ihre Hand schnell wieder loszulassen. Erst als Jane energischer zieht, gibt er ihre Finger frei.
»Du haben Name.« Sie zeigt wieder mit der stumpfen Spitze, die sie aus ihren fünf Fingern formt, auf ihn.
»Jamie«, antwortet er.
»Ich heißen?« Sie tippt sich auf die Brust.
»Du jane ich tarzan – heu heu heu. «
Er erinnert sich also an das verunglückte Ende vom letzten Mal, aber er hat mir verziehen, freut sich Jane. Das will er mir zeigen. Erleichtert stimmt sie in sein Lachen ein.
»Langen ast haben«, sagt Jamie.
Sie versteht ihn nicht, vielleicht ist mit Ast ein Statussymbol in der HE-Sippe gemeint.
»Jung alt jamie was haben?«
»Ich jung ulam. « Er klingt stolz.
»Wie viel jahre haben?«, fragt Jane.
Er zeigt den Daumen und sagt »eins«, schaut aber dann etwas hilflos.
»Eins acht – achtzehn«, sagt sie auf Global. Dreimal zeigt Jane ihm eine flache Hand, dann nochmals rechts nur Daumen, Zeige- und Mittelfinger: »Fünfzehn und drei, also achtzehn.«
Er wiederholt »achtzehn« und imitiert auch alle ihre Zeigegesten.
Und dann sagt er die sechs Wörter: »Frau haar lang jamie lang weg.«
»Was meinst du?« Sie zieht eine Haarsträhne in die Höhe. »Nein lange haare. Ich kurze haare.«
»Adama« , Jamie schüttelt den Kopf und sucht ihren Blick.
Sie sieht in seine wachen Augen, aber nur kurz. Wie besprochen vermeidet sie weiterhin einen zu langen Blickkontakt. Aber wieso eigentlich?, denkt Jane widerwillig. Vor was haben sie Angst?
Jamie legt eine Hand auf seinen Schritt, stößt abwechselnd die HE-Laute manadam und ulam aus und fährt sich immer wieder mit der Rechten über den Schädel.
Die Beobachter werden im Protokoll gerade »Gute visuelle Geschlechterwahrnehmung« notieren, weiß Jane. Bei diesem Gedanken fühlt sie sich zum ersten Mal unwohl, unfrei. Denn auch jede ihrer Äußerungen und Regungen wird so beurteilt.
Dann sagt Jamie einige Worte, die wie eine Bitte klingen: »Haare lang schneiden kurz mann.«
Jetzt versteht sie und sieht es auch: Sein Haupthaar ist lang und ungepflegter als die beiden letzten Male. Ein Mann muss kurzes Haar haben, versucht er ihr klarzumachen. Er will wie die anderen Männer des Labors aussehen. Das heißt, er vergleicht sich mit den anderen und zieht seine Schlüsse. Sie soll ihm wohl die Haare schneiden.
»Ich brauche Schere und Kamm und ein Handtuch«, sagt Jane laut zu den unsichtbaren Beobachtern, und an ihn gewandt fügt sie hinzu: »Ich komme gleich wieder!« Dabei deutet sie auf die Tür, dann auf ihn und macht mit Mittel- und Zeigefinger Scherenbewegungen über ihrem Kopf. Jamie schaut interessiert und bleibt tatsächlich sitzen, als sie hinausgeht.
Einige Minuten später bringt ein Mitarbeiter die gewünschten Sachen, und Rita, die mitgekommen ist, flüstert Jane zu, dass Jamie auf die letzten Pflegeversuche extrem abweisend bis aggressiv reagiert habe. Sie solle bitte aufpassen. Außerdem habe er doch »langen ast haben« gesagt.
Jane schaut sie fragend an. »Weißt du, was das bedeutet?«
»Der Ast ist eine Waffe. Jamie hat wohl das Gefühl, er müsse sein Revier gegen Eindringlinge verteidigen …« Rita macht eine Pause und ergänzt leiser: »… oder dich.«
Nein, nicht schon wieder rot anlaufen!, befiehlt sich Jane. Sie dreht Rita den Rücken zu und öffnet schnell die Tür.
Zurück im Wohnzimmer stellt sie sich neben Jamie, legt ihm das Tuch um die Schultern und beginnt, ihm die Haare zu schneiden. Leicht kraus sind sie, aber auch schwarz und drahtig, typisches asiatisches Haar, wie es auch Gregor hat. Leider
Weitere Kostenlose Bücher