Jane Reloaded - Roman
muss sie sich mit den dünnen, blonden Haaren der Klarks bescheiden. Jamie hält still, als sie ihm Strähne um Strähne kürzt. Das Haarschneiden kommt ihr wie eine Art Fellpflege vor, oder ist es ein archaisches Ritual? So nah hat sie sich ihm noch nie gefühlt, wie bei dieser einfachen Tätigkeit, und so vertraut.
Plötzlich spürt Jane, dass die Nanofilter verrutscht sind, oder vielleicht wirken sie auch nur kurz. Sie zieht die Nase hoch, um den Sitz der Filter zu korrigieren, und bekommt eine Gänsehaut, weil Jamie so stark riecht. Unerwartet packt er nun auch noch Janes linke Hand. Sie erschrickt. Will er sich statt eines Astes eine andere Waffe holen? Sie umklammert die Schere fest mit der rechten Hand.
Doch Jamie greift nicht danach, beachtet das Werkzeug überhaupt nicht. Er hat etwas anders vor. Zunächst schnüffelt er laut, dann leckt er sanft ihren linken Handrücken, dreht ihre Hand vorsichtig um und fährt mit seiner weichen Zunge in ihre Handbeuge.
Sie spürt ihn genau an der Stelle, wo ihr Puls schlägt. Janes Nackenhaare stellen sich auf. Sie hat Angst, dass er sie beißt. Er scheint genau zu wissen, wo die Pulsadern sind. Und gleichzeitig erregt sie diese Berührung. Während sie noch überlegt, ob sie besser stillhalten oder die Hand energisch wegziehen soll, hat er sie schon wieder losgelassen.
Leise schmatzt er, prüft den Geschmack auf seiner Zunge. Aber er sagt nicht »Saalt« , wie sie erwartet hat, sondern ruft laut: »Autsch!«
»Nein, mir tut nichts weh.« Sie schüttelt den Kopf.
»Krank«, sagt er laut und schaut ernst.
»Mir fehlt nichts, Jamie.« Und dann wiederholt sie mehrmals die beiden Worte: »Nein autsch ! «
»Pähr! Pähr!« , ruft er immer lauter.
Diese HE-Laute drücken Sorge aus, erinnert sich Jane. Er hat also Angst um sie. In großer emotionaler Erregung scheint Jamie immer zu dieser Kommunikation zu wechseln, registriert sie. »Wir haben einen Arzt, mach dir keine Sorgen«, versucht sie ihn zu beruhigen und lacht: » Heu heu heu – jane nicht autsch jane gesund gut.«
Aber Jamie schüttelt aufgeregt den Kopf und schaut sie besorgt an.
Plötzlich ertönt der bekannte Pfiff. Jane zuckt zusammen. Daran hat sie überhaupt nicht mehr gedacht, dass andere bestimmen, wann ihre Begegnung zu Ende gehen soll. Alles erscheint ihr plötzlich falsch und absurd. Sie würde viel lieber auf ihrem Hügel sitzen und in die Ferne schauen, warum nicht auch mit Jamie, denkt sie, und das hier alles vergessen. Oder mit Jamie endlich in Ruhe die Sprachbücher durcharbeiten, ganz allein, ohne Beobachter.
Jamie aber ist bereits aufgestanden und geht zur Tür, wenn auch unwillig. Das sieht sie an seiner ganzen Haltung, fühlt es, oder riecht sie es sogar? Als er sich noch einmal zu ihr umdreht, schauen sie sich nur kurz an. Weder er noch sie heben die Hand zum Abschied.
Jane klettert an diesem Tag nicht mehr hinauf zu ihrem Bambushain. Sie will nur noch in ihre Hütte und schlafen, sie fühlt sich erschöpft, nicht nur körperlich. Heute ist alles falsch gelaufen. Seit Haralds dummer Bemerkung spukte dieses Bild in ihrem Kopf herum und sie wird es nicht mehr los: King Kong und die weiße Frau, die schreiende Blondine in der großen schwarzen Hand. Dazu noch Ritas Bemerkung, als ob Jane ein Köder sei. Und deshalb hat sie sich vor Jamie gefürchtet. Sie ist schließlich hierhergekommen, um Freilandbeobachtungen zu machen, und nicht, um selbst beobachtet zu werden. Das Gefühl, nicht frei zu sein, hat sich im Laufe des Tages immer stärker entwickelt.
Ihre Müdigkeit scheint wie weggeblasen, seit Jane Wut in sich aufkeimen spürt. Sie muss stehen bleiben, um sich wieder zu beruhigen.
Jane schließt die Augen, sie will ganz bei sich sein und etwas ausprobieren und ihren Geruchssinn testen, diesen stammesgeschichtlich ältesten Sinn. Sie versucht, kein Geräusch mehr wahrzunehmen und sich allein auf das Riechen zu konzentrieren. Jetzt ist sie nur noch Nase, schnuppert. Welchen Baum, welche Blume erschnuppert sie? Tamarinden? Tempelbäume? Orchideen? Sind hier Gibbons oder Lemuren geklettert? Riecht sie Kakerlaken? Wer ging hier vor ihr? Doch alles bleibt ein Geruchsmischmasch, wenn auch verdichtet zu dem ganz typischen Lala-Geruch. Wie soll sie ihn beschreiben? Süß, schwül, modrig, bananig, fellig? Nicht einmal dafür hat sie die passenden Worte und ihre Nase ist noch dümmer. Jeder Hund ist ihr tausendfach überlegen mit seinen tausend Riechrezeptoren. Sie hat nur ein Drittel
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