Jane Reloaded - Roman
haben ihm dein Foto gezeigt. Ich bin mit ihm auch zu deiner Hütte gegangen. Du erinnerst dich doch daran? Als du mit Fieber im Bett lagst, hast du ihn gerochen.«
»Natürlich erinnere ich mich.« Jane hat kein gutes Gefühl, obwohl die Erklärungen ihres Vaters einleuchtend klingen. »Bei dem Wort mama reagiert er nie und baba hat ihn bei unserer letzten Begegnung erschreckt. Ich glaube, er vermisst seine Artgenossen sehr. Seine Familie.«
»Das könnte sein«, antwortet Gregor vorsichtig.
»Würdest du Jamie denn selbst entscheiden lassen …«
»Was entscheiden lassen?«
»Wann er zurückgehen will … zurück zu seiner Familie, nach Lucy-City.«
»Tanja, was soll das denn bitte?«
»Ich meine, zurück in Ring 1. Auch ein Ort braucht einen Namen, so wie Jamie seinen Namen bekommen hat. Und schlecht klingt es doch nicht, oder?«
»Ich weiß, dass du Lucy magst.« Gregor erinnert sich nur zu gut an das Bild von Lucy, das die kleine Tanja so oft betrachtet hat. Sicher hängt es immer noch im Wohnungsflur von Jane III.
»Du hast mir nicht geantwortet. Falls Jamie zurückwill, würdest du ihn gehen lassen?«
»Schon, aber …«
»Und wenn ich mitgehen würde?«
Er zögert: »Als dein Vater …«
»Nein, antworte mir als Wissenschaftler!« Jane lässt nicht locker. »Ich bin gut, hast du gesagt. Wenn ich nicht deine Tochter wäre, würdest du mich dann Jamie im Freiland beobachten lassen? Es soll Fragen wegen der Gruppenbildung geben.«
»Von wem weißt du das?« Gregor ist überrascht.
»Von Rita, sie hat mir erzählt, dass die Erfassungssysteme schlecht funktionieren oder Falschmeldungen am laufenden Band produzieren. Und was meine Sicherheit betrifft: Ihr habt doch Mini-Sender. Ich würde nicht verloren gehen!«
Gregor antwortet nicht gleich, sondern beobachtet Jane, die entschlossen ihr Kinn vorreckt. »Hast du dich eigentlich in den Homo erectus verliebt?«, fragt er unvermittelt.
»Nein«, antwortet sie sofort und wird rot. Diese direkte Frage hat sie nicht erwartet, und sie hat Gregor nicht einmal angelogen, als sie Nein sagte. Sie weiß doch selbst nicht, was sie genau fühlt.
Gregor Bao Li hat sich immer für ADAM gefreut, wenn genau diese Frage, die er auch anderen schon gestellt hat, mit Ja beantwortet wurde. Aber jetzt ist er erleichtert über das Nein seiner Tochter, auch wenn ihm klar ist, dass sie nicht die ganze Wahrheit sagt. Aber dieses Nein signalisiert, dass es noch nicht zu spät ist, um einzugreifen.
»Vielleicht ist es besser, wenn du bald nach Hause fährst, Tanja. Zu enge Beziehungen mit den Exemplaren können Probleme machen«, hört er sich in strengem Ton sagen. »Die Probezeit plus Krankheitsverlängerung ist sowieso bald vorbei.«
Jane steht auf, stellt sich mit dem Rücken zu Gregor vor das Mammutbild, er soll ihr Gesicht nicht sehen. Außerdem hat er schon wieder Tanja gesagt. Dann dreht sie sich um, geht bis zur Glastür und schaut hinaus. Gregor hat genau gehört, dass sie ihre Füße fester als sonst aufgesetzt hat. Er kennt dieses Stapfen. So reagiert sie immer ihre Wut ab.
Sie schweigen beide, bis Gregor einen Vorschlag macht: »Lass uns nachher weiterreden. Komm lieber mit ins Labor, wir haben das Ergebnis von Jamies Sprachgen-Profil.«
»Später, ich brauche frische Luft.« Jane schiebt die Tür auf. Fast rennt sie davon.
Jane geht schnell, der Schweiß läuft an ihr hinunter. Als sie ihre Wohnhütte erreicht, überlegt sie es sich anders und geht doch nicht hinein. Sie rennt einmal ums weiße Haus, ohne zu wissen, wohin. Moskitos fallen über sie her, sie hat das Schutzspray vergessen. Dann schlägt sie einen Haken und läuft Richtung Eingangstor.
Als sie allein ist, schaut sie hinauf zu der verrückten Holzkonstruktion, die auf Geheiß ihres Vaters errichtet wurde. Sie liest das Venter-Gebet, bis sie zu der Zeile kommt: »Wie auch wir vergeben den Zauderern.«
Sie hat ihrem Vater nicht gestanden, dass sie schon einige Male selbst daran gedacht hat, nach Hause zu fahren. Weil sie gar nicht so mutig ist, wie sie manchmal vorgibt. Weil sie manchmal nicht mehr weiß, was sie will: weggehen oder weitermachen. Weil sie immer wieder zweifelt, welchen Sinn alles hat. Weil sie immer öfter überlegt, was passieren würde, wenn sie zusammen fortgingen, Jamie und sie. Nach Lucy-City oder sonst wohin. Nur raus hier.
Doch gleichgültig, was sie machen wird, sie will selbst entscheiden. Das wird sie Gregor nicht überlassen. Er kann sie nicht wegschicken und schon
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