Jane Reloaded - Roman
passende Geschichte erzählt sie gern: Nach Millionen von Jahren treffen zwei befreundete Planeten in den Weiten des Weltalls zufällig wieder aufeinander. »Du siehst aber schlecht aus!«, sagt der erste besorgt und fragt: »Bist du krank?« »Ja«, stöhnt der zweite. »Ich habe eine seltene Krankheit: Homo sapiens. « »Ach, das ist nicht so schlimm«, beruhigt ihn der erste Planet. »Dauert nur kurz, ist bald vorbei!«
Johanna war immer ein bisschen penetrant und sympathisch verrückt, vor allem ein wenig affenverrückt, obwohl sie die geerbte Kiste mit den Tarzan-Büchern in den Keller verbannte. »Das ist Affenmenschenkitsch«, urteilte sie gnadenlos und textete lieber selbst das kleine »Menschwerdungslied«, allein für mich, für »ihr schönes Menschlein«. Ihre biologische Abschlussarbeit fiel aus dem Rahmen und trug den Titel »Der Affe der Welt«, der dem Menschen einen Spiegel vorhält und sich wie Homo sapiens gebärdet. Ganz hoch hinaus will er, mindestens auf die Bäume, sich am liebsten direkt in den Himmel und zum Herrsein aufschwingen und weiß dann doch nicht weiter. »Warum suchen wir den Menschen so gerne im Affen?«, war bei ihr weiter zu lesen. »Um uns zu beruhigen oder um uns überlegen zu fühlen? Wir verschließen die Augen, wenn es um das Tier im Menschen geht, den Affen in uns. Es gibt das Wort vermenschlichen, aber kann ich auch jemanden verafflichen? Doch, das wird gemacht, aber dann ist der Affe eher eine Karikatur von uns. Er steht manchmal für das Unbewusste und manchmal für den Teufel. Aber der Affe bleibt unser uralter Kern.«
Für jemanden wie meine Mutter war es nur ein kleiner Schritt zum Great Ape Project. Eine Gemeinschaft der Gleichen wollte sie mit durchsetzen helfen, in der alle als »die Großen Menschenaffen« versammelt waren: wir Menschen und unsere Geschwister, die Schimpansen und Bonobos, dann auch Cousin Gorilla und schließlich der entferntere Großcousin Orang-Utan aus der Gattung Pongo. Und unterschiedslos allen sollten das Recht auf Leben, der Schutz der individuellen Freiheit und ein Verbot der Folter garantiert sein.
»Wir gehören zusammen«, impfte mir meine Mutter immer wieder ein. »Vergiss das nie! Alle anderen Tiere mit ähnlich geringen Unterschieden im Erbgut wie Menschen und Schimpansen hätte man niemals in zwei Gattungen aufgeteilt.« Deshalb jubilierte sie, als vor einigen Jahren Schimpansen und Bonobos endlich auch unseren wissenschaftlichen Gattungsnamen Homo erhielten und wir nun offiziell vereint waren. Aber weil es immer noch Uneinsichtige und Kritiker dieser Entscheidung gab, entwickelte sie die große Fähigkeit, fast jedes Gespräch auf dieses Thema zu bringen, und dann legte sie los: »Warum bestehen so viele darauf, dass alles beim Alten bleibt, wenn es um die Menschenaffen geht? Warum wollen sie uns immer noch trennen, einen Keil zwischen uns treiben? Wir könnten uns sogar paaren, so viel Affe steckt in jedem von uns. Eine Menschen-Affen-Patchwork-Familie wäre möglich, bei 97,5 Prozent genetischer Übereinstimmung – das wäre kein Problem!« Und ich schämte mich besonders als Teenager immer in Grund und Boden, wenn sie zum krönenden Abschluss noch die provozierende Frage stellte: »Könnten Sie sich denn nicht vorstellen, sich in eine Schimpansenfrau oder in einen Bonobomann zu verlieben? Würde das nicht alles ändern?«
Und nun stellte ich mir fast die gleiche Frage, wenn ich in der Wohnhütte unter meinem Moskitonetz lag. Manchmal hielt ich sogar stumme Zwiesprache mit meiner Mutter und wollte von ihr wissen: »Was bedeutet es, dass der Homo erectus zurück ist – für mich und für sie, für alle?«
Seit ich im Regenwald mit den Gibbons singe, mit den Languren esse und mit Jamie spreche, wird der Wunsch immer stärker, ihr nicht nur von Jamie zu erzählen, sondern sie für alles hier zu begeistern. Damit Laos-Labor endlich kein Teufelsname mehr für sie ist, sondern zu einem neuen »Schöpfungszentrum« werden kann, wie einst die Galapagos-Inseln, allerdings eines für das 22. Jahrhundert. Müsste nicht gerade sie sich über Jamie und seine Artgenossen besonders freuen, wenn sie ihnen begegnen würde? Schließlich hatte sie oft genug die ultimative Millionen-Dollar-Frage gestellt, die alle Paläontologen, Anthropologen, Genetiker und alle denkbaren Kreuzungen dieser wissenschaftlichen Disziplinen umtreibt: »Auf der Erde krabbelt nicht nur eine Käferart, es sind 250 000 verschiedene. Wir sind der einzige Rest der
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