Jane Reloaded - Roman
Gruppe um sich, eine Familie. Nötig sind Ansprechpartner, im Kindesalter sowieso, aber auch später. Das heißt, wir müssten anfangs mehrere Klone gleichzeitig produzieren und sie in einer Art Kolonie ansiedeln.
Klark: Und dann sollten wir natürlich ihre Zustimmung erwirken, sie studieren und beobachten zu dürfen. Sicher ergäben sich aufgrund der unterschiedlichen genetischen Ausstattung spannende Ansatzpunkte für neue Gentherapien.
Li: Und da diese zurückgeholten Ahnen andere, wenn auch ähnliche Gehirne haben wie wir, denken sie sicher ganz anders über Probleme und bringen uns vielleicht auf neue Ideen, so eingefahren, wie wir sind. Und dann – das ist vielleicht das Wichtigste – erweitern sie die menschliche, genetische Vielfalt unserer Gattung. Das könnte uns in der Zukunft helfen, unsere Art, den Homo sapiens, vor dem Aussterben zu bewahren.
Klark: Einfach Nein zu sagen ist also nicht wirklich moralisch zu rechtfertigen und auch nicht der sicherste Weg. Vielleicht sind zwei Homo-Arten gut für die Welt und unsere neue Versicherung für die Zukunft.
Li: Es ist auf jeden Fall ein viel größeres Risiko, es nicht zu tun und der Natur ihren Lauf zu lassen.
Dieses alte Interview kannte ich vor meiner Reise noch nicht, sonst hätte ich schneller begriffen. Meine Großmutter kramte es erst hervor, nachdem ich aus dem Laos-Labor zurückgekommen war – und zwar verändert, genau wie sie mir prophezeit hatte.
7 BEGEGNUNGEN
Nervös betritt Jane das Wohnzimmer des Soziallabors, das sie von ihrer letzten Begegnung schon kennt. Elf Tage haben sie sich nicht gesehen, sie ist gespannt, wie es sein wird.
Dieses Mal steht Jamie mitten im Raum, als wolle er sie willkommen heißen. Sein Heu heu heu klingt tiefer und kehliger als sonst und er schlägt sich mehrmals mit der flachen Hand auf die Brust. Dann stampft er auf und sagt: »Ich freue mich.« Er benutzt einen Satz, den sie noch nicht mit ihm geübt hat. Gestelzt, auswendig gelernt klingt das, nicht wie er selbst. Jemand muss ihn während ihrer Krankheit unterrichtet haben.
Etwas anderes fällt ihr noch auf. Wie gut er aussieht, hat sie ganz vergessen. Nein, Jamie ist kein Waldgott wie im Tarzan-Buch und sie ist nicht auf Wildenromantik eingestimmt. Dieser Homo erectus hat objektiv alle Merkmale, die ein Gesicht durch die Zeiten und Kulturen als männlich ausgewiesen haben: ausgeprägte Wangenknochen, ein markantes Kinn mit einer Furchung in der Mitte. Genau dort, wo Jane selbst ein kleines Grübchen hat, wenn sie lacht. Sie betrachtet ihn länger als sonst. Seine ausgeprägten Stirnwülste sind wohlproportioniert, treten nicht zu stark hervor, und seine sanften, braunen Augen – auch das gehört zu dem vermessenen männlichen Schönheitsideal – nehmen seinem Antlitz die Wucht, die Schwere, signalisieren aber doch Dominanz. Wie mit einem Kajalstift ummalt erscheinen ihr die Augenränder. In Asien schminken sich viele Männer auf diese Weise, hat sie beobachtet. Das könnte doch auf ein tief verwurzeltes archaisches Bild von männlicher Schönheit zurückgehen, in dem sogar noch etwas Homo erectus steckt, überlegt Jane.
Sie würde Jamie gerne fotografieren, von allen Seiten, aber das ist verboten. Das Labor ist zwar nicht geheim, aber auch nicht öffentlich, das hat sie inzwischen immer wieder gehört. Also keine Fotos!
Er ist schlanker als die meisten Homo erectus -Reproduktionen, die Jane kennt. Dabei ist er durchaus muskulös und hat starke Arme. Hellhäutiger, feiner und intelligenter sind seine Gesichtszüge, als die gängigen Museumsmodelle vermuten lassen. Selbst den besten Künstlern ist es offensichtlich selten gelungen, etwas von dem besonderen Zauber seiner Art einzufangen, auch wenn die Schädel Schicht um Schicht sorgfältig modelliert wurden: von den Muskeln und Sehnen über das tiefe und oberflächliche weiche Gewebe bis zu der Haut, die alles zusammenhält, und der Menschennase, die er irgendwann auch bekommen hat.
Trotz immer genauerer Wiederherstellungsmethoden blieb am Ende ein Spielraum, und der scheint genutzt worden zu sein, um den Frühmenschen hässlicher zu machen. Unsensibel und grobschlächtig schauen sie meistens drein, dabei sollen sich unsere Vorfahren schon Liebesgefühle gestanden und von Angesicht zu Angesicht geliebt haben. Und trotzdem nannte man sie immer weiter »Affenmensch«, Pithecanthropus. Diese Gattungsbezeichnung wählte der französische Anthropologe Eugène Dubois im Jahr 1891, als er den ersten
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