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Jane Reloaded - Roman

Jane Reloaded - Roman

Titel: Jane Reloaded - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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schnitzte Flöten aus Knochen und Venusfiguren aus Stein. Als das Holzän vor 10 000 Jahren anbrach, wurden die Menschen sesshaft. 5000 Jahre später baute man die Pyramiden und schrieb in Hieroglyphen wunderbare Gedichte auf Tempelwände. Noch einmal fünf Jahrtausende später hatten Männer den Mond betreten und immer mehr Menschen flogen unbekümmert rund um den Erdball. Forscherinnen spalteten Atome und entschlüsselten die DNA. Homo sapiens begann, die Evolution in die eigenen Hände zu nehmen: vom Homo faber zum Homo creator in nur 10 000 Jahren, in nur 400 Generationen! Der Stolz war so groß, dass wir das Staunen verlernten, das machte uns rücksichtslos. Als Alleinherrscher veränderte der Mensch das Gesicht der Erde so stark und schnell, dass das Anthropozän, die Menschenzeit, ausgerufen wurde, auch auf Betreiben von Jane IV, meiner aufmüpfigen Mutter.
    Noch aus einem anderen Grund ist Die Uhr des Langen Jetzt auf eine Lebensspanne von 10 000 Jahren geeicht. Man hat die Lebenszeit der ausgestorbenen Homo-Art, auch des Neandertalers, als Maßstab genommen und die bereits gelebte Zeit unserer Spezies dazu in Beziehung gesetzt. Nach einigen vergleichenden Rechnungen hätte der Homo sapiens bereits 80 Prozent seiner Erdenzeit hinter sich gebracht. Dann blieben unserer Art noch 10 000 Jahre, bis uns das letzte Jahrtausend schlägt. Und diese Zahl halte ich für realistisch.
    Wenn Die Uhr des Langen Jetzt dann nach der programmierten Zeit stillsteht, wird das ein besonderer und feierlicher Tag sein. Denn in ihrer langen Geschichte sind Höhle und Uhr längst zu einem mythischen, fast heiligen Ort geworden, um den sich viele Geschichten ranken. Diejenigen, die nach uns kommen, werden Freudenfeuer entzünden und um den Berg tanzen, in der dieses Artefakt aus dem beginnenden Anthropozän aufbewahrt ist. Die Kinder des Homo sapiens werden bei diesem Fest im Jahr 12 024 bereits in der Minderzahl oder ganz verschwunden sein. Davon bin ich überzeugt, und mit mir sind es alle, die radikal darwinistisch-evolutionär denken.
    Neue Arten werden die Zukunft gestalten, darunter auch diejenige, die deine Großeltern mitbegründet haben. Die Anfänge trägst du bereits in dir. Deshalb wünsche ich mir auch, dass die Welt sich an diesem besonderen Tag an uns, an Jamie und mich, erinnert und unsere Geschichte erzählt oder singt. Aber damit man sich an eine Geschichte erinnern kann, muss sie überliefert und aufgeschrieben werden, konserviert sein für diese ferne Zukunft in 10 mal 1000 Jahren!
    Für eine solche Dauer taugen unsere modernen Technologien nicht, sie sind nicht ausgerichtet für Das Lange Jetzt . Ich befürchte, dass in 10 000 Jahren die angelegten digitalen Bibliotheken und Erinnerungsarchive unzugänglich und unlesbar sein werden, verschlossen und vergessen für immer. Deshalb haben Jamie und ich ein Erinnerungsmedium gewählt, das sich schon in der Vergangenheit bewährt hat. Wie hätte Homo sapiens von versunkenen Kulturen und Menschen erfahren, wenn es nicht die Keilschrift und die Höhlenmalerei, die Hieroglyphen und Runen gegeben hätte? Nur so, in Stein gehauen und auf Papyrus gemalt, konnten die alten Mythen und Welterklärungen, zu denen auch »Ich, Jamie« gehört, für uns aufbewahrt werden.
    In Thaimyla haben wir deshalb noch zu Lebzeiten deines Großvaters die besten Steinmetze beauftragt, unsere Geschichte in Steintafeln und Stelen zu schlagen, in Global-Lettern natürlich. Sie wurden auf dem Gelände des verlassenen Laos-Labors aufgestellt. Und die Geschichte der »Kinder von ADAM und EVA«, die in das Paradies Lala hinein- und herausgetrieben wurden, haben wir eigenhändig auf Papyrusrollen geschrieben, die in metallene Hülsen eingeschweißt an dem Ort deponiert sind, dem ich den Namen Lucy-City gegeben habe.
    Auch die Nachgeborenen werden noch wissen wollen, wer ihnen vorausging. Denn die Frage »Woher komme ich?« wird über alle Zeiten hinweg gestellt werden. Um zu erfahren, wohin ich gehe.
    Manche fürchten eine nachbiologische Zivilisation, in der Maschinen sich selbst organisieren und die Weltherrschaft übernehmen, auch über die Menschen. Ich dagegen bin Optimistin: Die Gattung Homo wird nicht untergehen, nur unsere Art. Es wird eine Welt geben mit anderen, neuen Wesen. Das ist nicht schrecklich, sondern tröstlich. Das Leben wird neue Wege finden, weiter zu evoluieren. Wenn das jemand bezeugen kann, dann Jamie und ich, weil wir Teil eines neuen Anfangs sein konnten. Eine Saat,

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