Jane Reloaded - Roman

hinein. Und immer mehr wollten nach Draußen. Sie erzählten wunderbare Sachen. Dass die Menschen fliegen. Ich mochte die Menschenfrauen nicht, aber das Fliegen.
    Sie schickten mich zum silbernen Haus. Immer wieder wurde einer geschickt, damit die anderen Ruhe haben und lernen und gehen können. Ablenken, sagen sie. Denn immer mehr gehen weg, aber Leopard wollte uns behalten. Deshalb stand ich vor dem Haus, einer der Letzten.
    Ich, Jamie, lüge nicht gern, aber ich mochte Jane. Ich blieb wegen Jane. Sie hat mir die Hand gegeben. In dieser Zeit gingen die Letzten. Alle waren weg. Und deshalb war ich traurig. Es ist schwer, zu lügen. Ich habe mich geschämt ohne Kleider, habe das aber nicht zugegeben, tat dumm. Im silbernen Haus sollte niemand wissen, dass wir so viel lernen und alle gehen. Das haben uns die in Draußen gesagt. Sonst werden sie uns einsperren, weil wir klug sind und gesund. In der Welt sterben viele, aber nicht wir, die anderen. Und viele reichen uns die Hand wie Jane, das ist gut. Der Leopard fühlte, dass ich mit Jane gehen will. Er war auch der Vater von Jane. Aber er sagte Nein, er war wütend. Große Kontrolle. Jane wusste davon nichts. Sie wollte gehen. Aber ich war schlauer, holte Jane vom Schiff. Wir sind das letzte Paar.
    Nachdem Jamie in Draußen dies alles erzählt hatte, begriff ich endlich, was das eigentliche Ziel von ADAM gewesen war: ebenfalls »das Draußen«.
    Nach der Zurückholung der alten Art war der neue Homo erectus kontrolliert in die Welt geschickt worden – zur Auffrischung des menschlichen Genpools. Er lieferte neues Futter für die Evolution. Und das Laos-Labor wählte nicht nur die besten Partner und die dazu passenden Partnerinnen aus, es bereitete Exemplare auch auf »draußen« vor.
    Nur mit einer Sache hatte mein Vater sicher nicht gerechnet: dass eine Selbstfreisetzung der HE-Exemplare begonnen hatte. Homo erectus brauchte keine Hilfe mehr, er nahm sein Schicksal selbst in die Hand. Genau wie Jamie. Es war allein sein Wille gewesen, mich vom Boot zu holen. Und auch meine freie Entscheidung, mit ihm zu gehen und bei ihm zu bleiben.

11  IM LANGEN JETZT
    Brief von Jane reloaded an ihre Enkelin Jane VII, November 2161
    Wir müssen uns aufeinander beziehen, damit der Faden durch die Generationen und die Zeit nicht abreißt, meine Kleine. Du bist die Erste von uns, die im 22. Jahrhundert geboren wurde. Sieben Generationen überblicken wir zusammen, du, Jane VII, und ich. Aber vor allem sind wir mit allen anderen Janes unserer Familie vereint im Langen Jetzt .
    Diese Einheit, The Long Now , umfasst 10 000 Jahre, und diese Zeitspanne wird von einer ganz besonderen Uhr gemessen. Einmal im Jahr tickt sie und in jedem neuen Jahrhundert rücken die Zeiger ein Stückchen vor, begleitet von einem Schlag. Und alle 1000 Jahre gibt der Zeitmesser einen ganz besonderen Ton von sich.
    Im amerikanischen Bundesstaat Nevada, im Osten der USA, ist diese Clock of the Long Now in Betrieb gegangen, im Geburtsjahr von Jane III, deiner Ururgroßmutter. Seitdem misst sie unsere Zukunft. Sie steht geschützt in einer großen Kalksteinhöhle, die einsam im Great-Basin-Nationalpark liegt, aber in einem Tagesfußmarsch von allen Himmelsrichtungen her zu erreichen ist.
    Wenn diese besondere Präzisionsuhr 10 000-mal getickt, 100-mal geschlagen hat und der Jahrtausendton 10-mal erklungen ist, soll sie stillstehen. Dann wird das Jahr 12 024 anbrechen.
    10 000 Jahre, das ist ein gutes Maß, um wirklich nach vorn zu schauen. Diese besondere Uhr verbindet uns so mit der Zukunft, wie uns die Artefakte und fossilen Knochenfunde mit unserer frühen Vergangenheit verbinden. Sich diese Zeitspanne bewusst machen ordnet uns ein, verortet uns auf einem Zeitstrahl, der demütig macht. Denn 10 000 Jahre sind zwar weniger als ein Wimpernschlag in der Evolution – der lange Weg zum Menschen dauerte schließlich Millionen von Jahre –, aber es ist eine lange Zeit für die Menschheit, wie sie heute existiert. Und doch ist dieser Zeitraum für uns gerade noch fassbar. Denn wer zum ersten Mal von dieser Uhr hört, begreift sofort eine Sache: Wenn Das Lange Jetzt endet, werde ich nicht mehr sein. Und dann schießen jedem zwei Fragen durch den Kopf: Wie wird die Erde in 10 000 Jahren aussehen? Wird es den Homo sapiens dann überhaupt noch geben?
    Bevor ich eine Antwort versuche, meine liebe Enkelin, lass uns noch einmal zurückschauen.
    Vor 40 000 Jahren fertigte der Homo sapiens unbeholfen die ersten Töpferwaren,