Jane Reloaded - Roman
Jahre mehr. Wir waren bei den Ersten«, antwortete er. »Und wir sind hiergeblieben, denn hier kennen wir uns aus. Wir gehören noch zu den Dummen. Weiter weg ist es zu schwierig für uns. Dort sind die Klugen und es sind viele. Sie helfen sich gegenseitig.«
Er umarmte Jamie zum Abschied. » Adama ogo ogo – pass gut auf sie auf!«, rief er ihm beim Weggehen noch zu.
Als Jamie und ich allein waren, nahmen wir das Haus in Besitz. Wir wuschen uns und zogen die neuen Kleider an. Dann kochten wir uns Reis und das Gemüse, das wir in einem Korb gefunden hatten. Da war niemand mehr, der uns beobachtete, keine Pfiffe, die Jamie von mir wegriefen.
Nach dem Essen wiederholte ich meine Bitte: »Erzähl mir jetzt von dir und von den anderen. Ich will alles verstehen!« Und dann begann Jamie endlich zu reden.
Ich wusste inzwischen schon, dass er viel besser sprechen konnte, als er mich hatte glauben lassen. Er benutzte meistens nur kurze Sätze, aber die waren erstaunlich korrekt. Doch je länger er erzählte, umso öfter verhedderte er sich. Das Global schien ihn anzustrengen, aber ich half ihm, gab ihm die Wörter, die er suchte. Und ich machte mir Notizen, schrieb alles mit, was ich von ihm erfuhr.
Es war eine besondere Zeit in Draußen, mit viel Reden, aber auch mit viel Zärtlichkeit. Tagsüber gingen wir im Dorf umher, wo uns alle respektvoll grüßten, aber niemand uns ansprach. Wir waren nichts Besonderes mehr, einfach nur ein verliebtes Paar wie überall auf der Welt. Das Alleinsein fanden wir wunderbar. Jamie wollte auch von mir viel wissen, und ich erzählte ihm von mir, von den anderen Janes, von Europa und wie es war, um die Welt zu fliegen.
In dieser Woche entstanden die sogenannten Laos-Protokolle, die ich erst sehr viel später in Frankfurt »übersetzte«. Ich glättete seine noch unbeholfene Sprache und versuchte trotzdem, Jamies ganz eigenen Ton zu belassen. An Sinn und Inhalt habe ich nichts verändert, das hat er mir später bestätigt. Wir nannten den Bericht »Ich, Jamie«.
Meine datierten Aufzeichnungen werden im Archiv der internationalen Stiftung Foundation for the Children of Adam and Eve aufbewahrt, die meine Großmutter Jane III gegründet hat. Im Stiftungsnamen auf die alten biblischen Stammeseltern anzuspielen klang unverfänglich. Und so konnte die Organisation leichter zum Schutzschild werden für Jamie und mich und unsere wachsende Weltfamilie, den neuen Kindern von ADAM und EVA. Ihnen gilt »Ich, Jamie« inzwischen als wertvolles historisches Dokument, manche gehen sogar noch weiter und nennen es unseren Schöpfungsmythos.
Ich, Jamie
Der Anfang ist dunkel und unklar. Niemand verstand, was passierte. Wir reden nicht gerne darüber. Oft wurde gestochen und Blut geholt. Kinder wurden gebracht, Geschenke waren sie. Jeder kümmerte sich darum. Manche wurden einzeln geholt. Sie kamen immer wieder zurück.
Der Anfang ist dunkel und unklar. Da gab es diesen einen Satz: Der Tiger bringt die Kinder, die in einem silbernen Haus wachsen.
Der Tiger war groß, gefährlich, mächtig und meistens unsichtbar. Ein großer Geist. Ähnlich wie euer Gott. Und als das Volk mehr und älter wurde, bekamen unsere Vorfahren selbst dicke Bäuche. Kinder und auch ich, Jamie, wurden geboren. Jamie heiße ich heute. Wir hatten keine Namen am Anfang.
Alle wollten deshalb das silberne Haus sehen, weil sie dachten, dort wachsen Kinder. So kamen sie zu dem Mann, der das Haus leitete. Er hieß Leopard, Bao. Deshalb vertrauten sie ihm. Weil Tiger und Leopard zusammengehören. Sie sind sich ähnlich.
Und die dunkle Zeit endete. Leopard schickte Lehrer und sie gaben uns Namen. Der Kopf wurde gefüllt. Menschen kamen und reichten die Hand. Immer mehr. Sie brachten uns Dinge mit. Malen. Reden. Messen. Buchstaben. Sehen. Die Höhle gehörte allen. Wir haben gelernt. Einige waren verwirrt, gingen zu früh. Zum Horizont gingen sie, einige kamen nie zurück. Es gab Verluste, gestohlen wurde ein Mann. Draußen sagten wir damals zum ersten Mal. Draußen war gut und böse. Drinnen war das silberne Haus, es war gut. Es schenkte uns andere Frauen und Männer. Sie lebten mit uns, lehrten uns. Das erste Paar ist gegangen. Manche kamen zurück. Holten Freunde. Die im Draußen mögen uns, haben sie gesagt, keine Angst. Gehen und kommen, alles war gleich. Deshalb ist es nicht aufgefallen, immer mehr gingen.
Als es nicht mehr gleich war, hatten wir Angst. Die Köpfe wurden immer voller. Mein Kopf war groß und gut, es ging viel
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