Januarfluss
anders.
Ich drücke meine Stirn ans Fenster, lasse meinen Blick in die Ferne schweifen und grübele über diese Verlobte nach, von der ich vorhin zum ersten Mal gehört habe. Ich verspüre einen Hauch von Eifersucht und ärgere mich über mich selbst. Warum sollte ein Bursche wie Lu, der seit Jahren auf eigenen Beinen steht, nicht schon in so jugendlichem Alter an eine dauerhafte Verbindung denken? Weshalb habe ich gar nicht daran gedacht, dass er eine Gefährtin haben könnte? Er sieht gut aus und ist schlau, da wird es sicher etliche Mädchen geben, die sich für ihn interessieren.
Dennoch lässt mir diese Aldemira keine Ruhe. Ich stelle mir eine junge Frau von hellbrauner Hautfarbe vor, die, wie es bei manchen Mischlingen der Fall ist, hinreiÃend aussieht. Sicher lacht Aldemira viel, und es gelingt ihr mühelos, auch Lu zum Lachen zu bringen. Wahrscheinlich ist Aldemira eine göttliche Tänzerin, die bei den Feiern der Farbigen eine erotische Aura um sich verbreitet, die alle Männer dahinschmelzen lässt. Sie hat den perfekten Körper, mit den Rundungen an den richtigen Stellen, und offenbart ihr Reize äuÃerst sparsam, aber dafür umso raffinierter. Ja, und natürlich hat Aldemira einen vernünftigen Beruf, etwas Handfestes, mit dem sie sich ihren eigenen Lebensunterhalt verdient. Vielleicht ist sie Köchin oder Verkäuferin und selbstverständlich ist sie fleiÃig, ehrlich und zuverlässig. Sie wird Lu eine wunderbare Ehefrau sein. Ich hasse sie.
Durch den Nebel der Dampfschwaden, die unsere Lokomotive ausstöÃt, sehe ich, wie der Zug sich langsam in Bewegung setzt. Ich nehme alles sehr verschwommen wahr, bis ich merke, dass meine Augen ganz wässrig sind. Vorsichtig tupfe ich mir die aufkommenden Tränen aus den Augenwinkeln und sofort sehe ich wieder klarer. Jetzt bemerke ich auch, dass ich Gesellschaft in meinem Abteil bekommen habe. Es handelt sich um eine ältere Senhora, die ich garantiert nie zuvor gesehen habe, denn an die Warze auf ihrer Nase würde ich mich erinnern. Auch sie scheint mich nicht zu kennen. Als unsere Blicke sich treffen, erkenne ich Mitgefühl in ihren Augen.
» Abschiede sind so schwer, nicht wahr? «
» Oh ja « , sage ich und wende den Blick wieder ab. DrauÃen saust die Landschaft an uns vorbei, und ich denke an den stillen Abschied, der gerade hinter mir liegt.
Habe ich Lu für immer verloren?
22
Erst in der Kutsche, die mich nach Bela Vista bringt, gelingt es mir, mich von den trübsinnigen Gedanken zu lösen und mich auf mein Ziel zu konzentrieren. Merkwürdigerweise bin ich ganz ruhig.
Bela Vista ist der Name von Dom Fernandos Fazenda. Sie liegt nur etwa dreiÃig Kilometer von Ãguas Calmas entfernt, dennoch war ich noch nie dort. Dom Fernando ist, wie Lu in Erfahrung gebracht hat, gerade anwesend, was in seinem Fall nicht unbedingt selbstverständlich ist. Er verbringt einen GroÃteil seiner Zeit in Rio und überlässt die Alltagsgeschäfte auf der Fazenda einem Verwalter. Und der macht seine Arbeit recht gut, wie mir scheint.
Die Fazenda wirkt auf den ersten Blick äuÃerst gepflegt. Die lange Auffahrt ist gesäumt von hohen Königspalmen, die in exakt gleichem Abstand zueinander gepflanzt wurden. Nach einer sanften Kurve erblickt man das Herrenhaus, die casa grande, die majestätisch auf einem Hügel thront und in jeder Hinsicht nobel wirkt. Das rote Ziegeldach ist frisch gedeckt, der weiÃe Anstrich der Fassade ist makellos, die blauen Fensterläden und Türen leuchten in der Sonne. GroÃe Blumenkübel, die schier überquellen vor bunten Blumen, stehen rechts und links der Treppe, die zur Haustür führt, und auf dem Rondell vor dem Eingangsbereich plätschert ein Springbrunnen, der mit eleganten Statuen bestückt ist. Es ist ganz eindeutig ein Anwesen, das mit viel Liebe zum Detail und groÃem Aufwand in Schuss gehalten wird.
Mein Blick ist für derlei Dinge geschult, denn meine ganze Erziehung zielte ja darauf ab, dass ich selbst eines Tages Herrin einer solchen Fazenda sein werde. Ich kenne mich aus mit der Instandhaltung von Haus und Hof. Ãberrascht nehme ich zur Kenntnis, dass hier zwar an nichts gespart wurde, aber auch nicht geprotzt wird. Das Herrenhaus wirkt bei aller Vornehmheit angenehm zurückhaltend, auf modischen Firlefanz wie etwa ein Säulenportal hat man verzichtet. So viel Geschmack hätte ich
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