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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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ließ mich nicht los: Vor etwa fünfzehn Jahren war nicht weit von hier, auf den Stufen der Moschee, König Abdallah, Husseins Großvater, ermordet worden, und was
wäre, wenn jemand nun ein Attentat auf den Minister verübte? Man erzählte sich von ihm, dass er keine Angst kannte, dass er sich selbst, ohne nachzudenken, in Gefahr begab. Es war eine Wahnsinnstat, im Türkensitz auf dem Boden auf dem Platz der Moscheen zu sitzen, umgeben von Arabern, deren Welt gerade zerstört worden war und die noch den Verwesungsgeruch ihrer Toten wahrnehmen konnten. Wie es schien, dachte niemand an die Gefahr, am wenigsten der Minister.
    Ich betrachtete ihn, den in aller Welt bekannten Kopf: ein gut geschnittenes Gesicht, braune Haut, fast erdfarben, ein großer, kahler Schädel, ein spitzbübisch freches Lächeln und die schwarze Augenklappe. Man sagte, unter der Klappe hausten ein schwarzes Loch und höllische Schmerzen. Man sagte auch, er habe keine Geduld, doch hier war keine Spur davon zu merken. Er sprühte vor Charme, lächelte jungenhaft, man konnte kaum die Augen von ihm wenden.
    Die Furcht erschwerte mir die Konzentration. Beruhige dich, Genosse, bleib ruhig sitzen, sagte ich zu mir. Was halst du dir die Sicherheit Israels auf? Meinst du, die Armee, der Sicherheitsdienst und die Polizei schlafen? Keine Sorge. Entspann dich wie er, und hör in aller Ruhe zu.
    Der Mufti von Jerusalem redete gemächlich, sprach Probleme an, Amitai übersetzte, und der Minister traf seine Entscheidung auf der Stelle, wie Harun al-Raschid, der in den Basaren umherspazierte und dort Recht sprach. Dajan drückte den Wunsch aus, dass die israelischen Araber freitags in die Moscheen auf dem Tempelberg, von denen sie zwanzig Jahre lang abgeschnitten gewesen waren, zum Beten kämen, und zwar gleich am kommenden freitag. Der Oberbefehlshaber warf einen schrägen Blick zum Generalstabschef hinüber.
    »Und die Araber des Westjordanlands?«
    »Sie auch.«
    »Und wer wird für die Moscheen verantwortlich sein?«, fragte der Mufti, ermutigt von der Geste.

    »Ihr«, bestimmte Dajan, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Der Mufti hob den Kopf, blickte nach rechts und nach links und strich sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er seine Zufriedenheit verbergen.
    Herr Charisch vom Religionsministerium erstarrte wie vom Donner gerührt auf seinem Platz.
    Freude durchflutete mich: Ich hörte den Flügelschlag der Geschichte, sah die Helden, vernahm ihren Atem. Generationen würden sich an diese Szene erinnern, und ich war dabei, mittendrin, vernahm jeden Laut, konnte Zeitgeschichte schreiben.
    Dajan erhob sich, und wir alle folgten ihm. »Ab jetzt unterstehen Sie mir«, sagte er zu Amitai. Ich beneidete ihn.
     
    Ich verließ den Tempelberg mit einer feierlichen Empfindung und gespaltenem Herzen, ob die historische Entscheidung des Ministers nicht etwas überstürzt war. Die Kunde verbreitete sich wie im Flug in den Gassen der Altstadt. Die Muslime brachen in Freudentänze und Jubelgeschrei aus und blockierten die Straßen. Ich fühlte mich einsam in der jubelnden Menge wie jemand, der in einer Schlacht geschlagen worden war.
    Ich beschloss, zu meinem Minister zu eilen, um ihm zu berichten, was sich gerade abgespielt hatte. Der Minister war erschüttert von der Botschaft, doch noch bevor er die Neuigkeiten, wie es bei ihm Usus war, analysieren konnte, trat Levana ins Zimmer und sagte, ich würde gebeten, sofort ins Bürgermeisteramt zu einer Notstandssitzung zu kommen.
    Über zwanzig Personen drängten sich im Büro des Bürgermeisters bei jener Sitzung, die wegen der Öffnung des Tempelbergs zum Gebet einberufen worden war. Ich hatte längst gelernt, dass Sitzungen eine Art Führungszoll waren, ohne die die Verwaltung einem Bäcker ohne Mehl gleicht. Die wichtigen Entscheidungen werden schließlich in Einsamkeit gefällt: Ben Gurion hatte sich beraten und Meinungen angehört, entschieden jedoch hatte er
allein, wurde sogar manchmal bettlägrig unter der Last der Verantwortung; Eschkol gelangte zu seinen schweren Entscheidungen und besten Ideen ebenfalls allein, beim Rasieren, wenn er sich selbst im Spiegel zu Rate zog; und im Moment hatte auch der Sicherheitsminister allein beschlossen, den Tempelberg dem Mufti zu übergeben.
    Seit dem Tag, an dem ich dem Beraterstab zugeordnet worden war, hatte ich gelernt, dass nicht wichtig ist, was gesagt wird, sondern wer es sagt. Aus dem Munde des Herrschers hört sich Nebensächliches manchmal wie die Hauptsache an.

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