Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
Theater, wollte Kairo in ein Paris am Nil verwandeln. Man kann den Lauf der Geschichte nicht aufhalten, die gesamte Welt folgt dem Westen, und wir sitzen hier im Hintern des Kamels fest …«
    »Du bist Christ, du verstehst den Islam nicht, mein Bruder …«, kam es von Abu Nabil.
    In seiner Verzweiflung begann Abu George zu lachen, holte eine Handvoll Gewürznelken aus seiner Tasche und streute sie auf die Glut der Wasserpfeife. Die Luft erfüllte sich mit deren starkem Duft.
    »Unsere Geschichte der Neuzeit ist voller Irrtümer. Wir haben den Elefantenrat nicht akzeptiert, der Mufti hat Hitler als Bundesgenossen gewählt, wir haben den Teilungsplan von 47 abgelehnt, und wir sind 48 besiegt worden. Jetzt haben wir die Sowjets gewählt, und sie haben uns die Zunge rausgestreckt.«
    »Wir haben die Feinde unserer Feinde gewählt, was ist daran schlecht?«
    »Die Frage ist nicht, welchen Bündnispartner man wählt, sondern welche Kultur man wählen soll«, beharrte Abu George.
    »Aber wir haben eine Kultur! Der Islam ist eine Kultur, eine ganze Lebensweise! Willst du die westliche Kultur adoptieren? Da züchtest du besser gleich Pinguine an den Ufern des Nils.«
    Abu George sog den Rauch der Wasserpfeife ein und lauschte dem Blubbern des Wassers.

     
    Nachdem sie sich getrennt hatten, ging Abu Nabil in sein Redaktionszimmer, legte den Mantel ab, löste die Krawatte und versank in Grübeleien. Er erinnerte sich an seine Studienzeit in Kairo und seine Arbeit bei al-Ahram , wo man ihn gelehrt hatte, sorgfältig auf wahrheitsgetreue Berichte zu achten, die Würde des geschriebenen Wortes zu wahren. Und was sollte er jetzt tun? Er kämpfte mit sich selbst, bis er sich schließlich sagte: Wir sind im Krieg, der Geist des palästinensischen Volkes liegt am Boden. Man darf sich nicht dagegenstellen. Wenn die Lügen helfen, das Selbstbewusstsein, die Zielstrebigkeit zurückzugewinnen, dann bin ich für Lügen. Lüge und Übertreibung werden unsere Flugzeuge und Panzer sein.
    Er trank Wasser, zerbiss die Eiswürfel im Glas, zog seinen Parker Fifty-One heraus und füllte ihn mit grüner Tinte, breitete die jordanischen Zeitungen vor sich aus und begann zu schreiben. In seinem Artikel zitierte er Reportagen, die von der Zerstörung des Senders berichteten, als hätte er nicht mit eigenen Augen gesehen, dass das Gebäude unversehrt auf seinen Fundamenten stand.
    Am nächsten Tag, als Abu George den Lügenbericht und den Leitartikel Abu Nabils las, erfasste ihn tiefe Trauer. Wieder einmal hatten Rhetorik und Lüge gesiegt. Von jetzt an standen Abu Amar und Abu Nabil im selben Lager vereint, einem Lager, in dem es ihm selbst immer schwerer fiel, einen Platz zu finden. Vielleicht war die Zeit gekommen, sich in sein Haus in Jericho zurückzuziehen und alles hinter sich zu lassen − die Zeitung, die Geschäfte und die Politik.
    Er brach zu einem Streifzug durch die Altstadt auf, die Hände auf dem Rücken, die Finger drehten an der Gebetskette. Er ging durch das Jaffator hinein, die Stufen zum belebten Basar hinunter. Als er anhielt, fand er sich an der Grabeskirche im christlichen Viertel wieder. Der Platz quoll über vor Ausflüglern und Touristen, die auf den Stufen und auf dem Boden saßen und jedes Plätzchen besetzten. Der Eingang zu Kirche wirkte heruntergekommen,
und die steinerne Fassade war geflickt. Vier Bögen, je zwei auf jeder Seite, einer über den anderen gewölbt. Da war der große Stein, auf den der Überlieferung nach der Leichnam des Gekreuzigten gelegt worden und gewaschen worden war, wie auf dem Gemälde an der Wand. Er betrachtete die großen Heiligengemälde und empfand Demut und Ehrfurcht. Eine Wolke von Weihrauch waberte im Raum der Kirche. Seit seiner Kindheit, seit ihn Großvater Hilmi hierher gebracht hatte, liebte er diesen Geruch.
    Pilgerscharen wälzten sich durch die Kirche, junge armenische Priester sangen hingebungsvoll. Dutzende Amerikaner standen Schlange, sangen und zündeten Kerzen an, mit strahlenden Gesichtern. Er wandte sich dem oberen Geschoss zu, doch die Treppe war von deutschen Touristen verstopft, die meisten mit hellen Haaren und hellen Augen, und auch sie sangen ihre Lieder. Er verzichtete und stieg ins Untergeschoss hinab, doch auch dort stieß er auf eine lärmende Gruppe aus Südamerika. Das Eingangsgeschoss wurde von einer Gruppe Israelis belagert. Ihrer Kleidung nach vermutete er, dass sie aus dem Kibbuz kamen. Ein junger Führer versuchte, mit seiner Stimme den Gesang zu

Weitere Kostenlose Bücher