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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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übertönen, der aus allen Richtungen erklang, und seine Zuhörer tranken durstig seine Worte. Abu George verfolgte die Israelis mit seinem Blick, bis sie zwischen den Pilgern verschwanden. Für einen Moment war ihm leichter zumute, er sonderte sich in einer Ecke ab und murmelte ein leises Gebet, doch unvermittelt überfiel ihn ein erstickendes Gefühl, und er ging hinaus an die frische Luft. Wohl wahr, dieser Boden sprach tatsächlich alle Sprachen, und diese Stadt gehörte niemandem allein, sie gehörte allen.

25.
    »WER SIND WIR HIER SCHON?«
    Bereits in der Morgendämmerung warteten Ghadir und ihre Mutter Fatchija an der Südecke des Damaskustors auf mich. Es stand uns eine lange Reise nach Galiläa bevor. Zuerst nach Karmiel, zu meinem Arbeitstermin, der mit dem Bürgermeister anberaumt worden war, und von dort zu ihren Verwandten im nahe gelegenen Gheine.
    Ich stieg aus dem Auto, um mich ihrer Mutter vorzustellen.
    »Sabah al-cheir, guten Morgen, mein Sohn, meine Tochter hat mir schon damals von dir erzählt, als du Soldat am Dschebel Skobos warst.«
    Ich betrachtete den belebten Platz, auf dem hier und dort Autos mit israelischen Nummern parkten. Dutzende Menschen strömten zwischen den Mauern des Neutors und des Damaskustors und gesellten sich zu den Hunderten, die sich bereits auf dem großen Platz, am Rande des Musraraviertels, zusammengeschart hatten. Wo liefen sie denn so früh am Morgen hin? Der Platz war kaum wiederzuerkennen. Es hatte dort immer einen fliegenden Markt gegeben, Gemüse und Obst wurden von den Karren weg verkauft, Saisonware, Melonen aus bester lokaler Erzeugung, doch nun herrschte plötzlich dieses Gedränge, und niemand verkaufte etwas.
    »Was ist hier los?«, fragte ich Ghadir.
    »Kennst du das nicht? Das ist der Suk il-abid, der Arbeitermarkt. Jeden Morgen kommen die Leute aus Silwan, Abu Dis, Sur Bahir, Beit Chanina und Schu’afat her, um Arbeit zu suchen«, antwortete sie.
    Seit wann hatte sich der Gemüsemarkt in einen Sklavenmarkt
verwandelt? Und wie kam es, dass ich nichts davon wusste? Mit einem Mal drang eine donnernde, bekannte Stimme an mein Ohr. Es war Chumi, ein Aktivist der Mapai-Partei aus den Katamonsiedlungen. »Ta’al hon, komm her, steig rauf«, befahl er mit autoritärer Stimme. Innerhalb kurzer Zeit hatte er drei Lieferwagen mit Arbeitern vollgeladen und fuhr davon. Jetzt verstand ich, wie er sich kürzlich das Haus in Rechavia, dem »deutschen« Viertel, hatte kaufen können.
    Wir fuhren durch das Jordantal nach Norden, hier und da stießen wir auf Straßensperren. Die Gegenwart von zwei traditionell gekleideten arabischen Frauen in einem israelischen Fahrzeug erregte Misstrauen bei den Kontrollposten, was die beiden in Panik versetzte. Man weiß gar nicht, wie viel Furcht gelangweilte Reservisten verbreiten können, die an einer Straßenkreuzung stehen und in der Hitze braten.
    In den Acht-Uhr-Nachrichten meldeten sie im Radio, dass elf Terroristen auf dem Gilboa gefangen genommen worden waren, und es wurde die Vermutung geäußert, dass sie eine Vergeltungsaktion als Reaktion auf die Vernichtung der Raffinerien am Suezkanal zwei Tage zuvor geplant hatten. Fatchija sah die Anspannung in meinem Gesicht und schaute mich mit fragendem Blick an. Ich erzählte es ihr.
    »Wir brauchen Allahs Erbarmen«, seufzte sie. Und nach kurzem Zögern setzte sie hinzu: »Ich dachte, du würdest über Jaffa fahren.«
    »Auf dem Rückweg«, versprach ich.
    In Beit Schean hielt ich zu einer kurzen Rast. Wir setzten uns unter das Sonnensegel eines Kiosks, um etwas Kaltes zu trinken, und Fatchija steuerte Pitabrote und Früchte bei, die sie ihrem Korb entnahm. Misstrauische Blicke starrten uns an. Für einen Moment suchte ich insgeheim nach einer Rechtfertigung, was ich da mit diesen zwei arabischen Frauen machte, und gleich darauf ärgerte ich mich über mich selbst.
    Wir fuhren weiter zur Golanikreuzung und nahmen von dort
die Straße, die nach Kiriat Schmona führt. Links erstreckte sich das Tal von Beit Netofa, breit und großzügig, wie ein Fleckenteppich aus schwarzer Erde, braun und grün, mit Schönheitstupfern von Büschen und Olivenbäumen. Ringsherum erhoben sich Hügel, priesen die Schönheit des Jezreeltals.
    »Ja salam, wie schön, ich erinnere mich nicht, dass wir vor 48 jemals auf diesem Weg gereist sind«, sagte Fatchija.
    »Das ist eine neue Straße«, erklärte ich.
    Wir kletterten nach Maghar hinauf. »Meine Tochter, wir nähern uns«, sagte Fatchija, und

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