Jasmin - Roman
plötzlich erblasste sie: »Schu hatha, was ist das? Was sind das für Häuser?«, und sie zeigte nach links, auf die weißen Häuser Karmiels.
Zu dem Treffen mit dem Bürgermeister von Karmiel fuhr ich im Auftrag des Ministers, und ich war angewiesen worden, ein Entwicklungsprojekt mit ihm zu besprechen. Der Minister wollte den Bürgermeister überzeugen, an dessen Spitze zu stehen. Ich traf pünktlich dort ein und wurde sofort in sein Büro vorgelassen. Ghadir und ihre Mutter warteten auf einer Bank am Eingang.
Lange Zeit hielt mir der Bürgermeister einen Vortrag über das Gebiet und zeigte mir auf der Karte eine Kette von Industrie- und Handwerksbetrieben, die zum Wohle der arabischen Bevölkerung geplant waren.
»Wir werden auch gemeinsame Schulen für Araber und Juden errichten, sie werden einander vom Kindergartenalter an als echte Vettern kennenlernen. Wir werden auch den arabischen Frauen neue Horizonte eröffnen«, begeisterte er sich. »Sagen Sie dem Minister, dass ich mit Freuden an der Spitze des Forums zur Zusammenarbeit stehen werde, das er plant.«
Wenige Minuten nachdem wir dort abgefahren waren, rief Fatchija aufgeregt: »Halt, wir sind da!« Zwei kleine Schilder verkündeten, dass zu unserer Rechten Deir al-Arnab und Gheine lagen. Wir fuhren langsam die schmale, gewundene Straße auf den Hügel, rechts lag eine Ansammlung von Felsbrocken, die offenbar
vor Kurzem hingerollt worden waren, und dahinter eine Olivenplantage. Dunkelblauer Rauch stieg von den Häusern auf und ein vertrauter Geruch nach arabischem Dorf. Zwei streunende Hunde bellten heiser, und als ich den Kopf nach ihnen drehte, rannten sie davon, als wollten sie sich vor einem Angriff schützen. Neben der Seite schlängelte sich ein randvoller Abwassergraben entlang, und das übergelaufene Schmutzwasser füllte auch die vielen Schlaglöcher im Straßenbelag.
Die beiden Dörfer waren ineinander verflochten, die dicht gedrängten Häuser kletterten aufeinander und stießen aneinander, kämpften um einen Platz. Die Farbe des rohen Betons überwog, nur die Fenster waren himmelblau gestrichen, ein erprobtes Mittel gegen den bösen Blick. Ein kleiner Junge leckte an einem roten Stieleis, rannte uns nach und rief im Singsang: »Weißes Auto, weißes Auto.« Ich fuhr noch ein Stückchen weiter und parkte dann am Straßenrand.
»Es ist alles gleich geblieben. Auch im Dunkeln würde ich diesen Ort erkennen«, sagte Fatchija, als sie aufgeregt aus dem Auto stieg. Sie strebte hastig mit zwei Päckchen in der Hand auf ein kleines Haus zu, blieb stehen, hob den Blick und sagte mit Gewissheit: »Das ist das Haus.«
Auf der Betonfläche vor dem Eingang lag ein riesiger Hund mit traurigen Augen, der vor sich hin schnaufte wie ein kurzatmiger Greis. Als wir uns näherten, versuchte er zu bellen, doch es entfuhr ihm nur ein klägliches Jaulen. Sogar ich, der sich vor Hunden fürchtet, erkannte, dass er wohl keine Zähne mehr hatte. Das Betonstück war übersät von Kotresten und dem Urin der unglücklichen, übel riechenden Kreatur. Ich entfernte mich etwas, stellte mich an den Rand. Fatchija trat schnurstracks auf die Tür zu, und schon erfüllten Freudenrufe die Luft: »Fatchija!«, »Asalije!«, »Ich hab dich seit Ewigkeiten nicht gesehen!« Die zwei Frauen fielen einander um den Hals, umarmten und küssten sich und überschütteten sich gegenseitig mit Begrüßungen.
Ghadir stand still neben mir, bis Asalije sie bemerkte. »Ghadir,
nicht wahr?«, rief sie und bezog sie in den Kreis der Umarmungen, Tränen und Entzückensrufe mit ein.
»Und du bist der Ehemann?«, fragte sie mich dann.
»Mein Mann ist in Amman seit dem Krieg. Das ist Nuri ed-Din aus al-Quds«, sagte Ghadir, die meinen Namen leicht abänderte und mich damit zu einem der Ihren machte. Das Verschleiern meiner Herkunft ließ ein Lächeln auf meinem Gesicht aufsteigen, das sicherlich als ein Begrüßungslächeln aufgefasst wurde.
Fatchija ergriff meinen Arm und sagte zu ihrer Schwester: »Das ist ein guter Mann, der für uns einen Antrag auf Familienzusammenführung macht. Wir haben ein Problem mit Ghadir und sind gekommen, um euch ein paar Fragen zu stellen. Wir erzählen es euch nachher. Zuerst wollen wir hören, wie es euch geht und was in all den Jahren war, in denen wir uns nicht gesehen haben.«
»Ahlan wa sahlan, willkommen«, sagte Asalije zu mir.
Das ganze Haus war ein einziger schmaler, dunkler Raum, wie ein ausrangierter Waggon. Matratzen lagen auf dem Boden,
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