Jasmin - Roman
Schweigen hüllte wie er. Was mich beschäftigte, war die Erklärung meines jüngeren Bruders Ephraim, dass er beabsichtige, Kibbuzmitglied zu werden. Meine Eltern hörten es und nahmen es zur Kenntnis, als sei das ganz natürlich, verständlich und normal. Ich dagegen konnte es ihnen weder vergessen noch verzeihen, wie sie sich zu meiner Zeit so gegen den Kibbuz gestellt und mich unaufhörlich bedrängt hatten, bis ich mich schließlich gezwungen gesehen hatte, meinen Wunsch dem ihren unterzuordnen, und den Kibbuz beschämt und von Schuldgefühlen geplagt verlassen hatte.
Am Ende des Schabbats, als Ephraim und Moschi mit Marie und den Kindern abgefahren waren, schlug mein Vater vor, am nächsten Tag Hebron zu besuchen: »In Bagdad habe ich von
zwei Orten geträumt, von Jerusalem, der Heiligen Stadt, und von Hebron, der Stadt der Väter. Gelobt sei Sein Name, jetzt, wo uns vergönnt worden ist, dass Chizkel aus dem Gefängnis entlassen und Hebron befreit wurde, sollten wir es sehen.«
Meine Mutter bereitete einen großen Korb vor, den sie mit Leckereien füllte, so wie sie es in Bagdad immer getan hatte, wenn wir zum Grab des Propheten Ezechiel gepilgert waren. Anschließend holte sie Vaters Festtagskleidung aus dem Schrank, ein weißes gestärktes Hemd, einen neuen Anzug, Krawatte und Hut.
»Einen Anzug?« Er blickte sie an, als hoffte er, dass sie ihre Meinung änderte, doch meine Mutter stellte sich taub und blind. Mein Vater hatte schon lange aufgehört, auf seine Kleidung zu achten. Von seinen Maßanzügen, seinen gestreiften Krawatten und der Blume am Revers von früher war nichts geblieben. Er zog billige Einheitskleidung an, Khakihosen und ein weißes Hemd, und an Fest- und Feiertagen graue Hosen und ein blaues Hemd. Meine Mutter jedoch, die nach dem Krieg das Gefühl hatte, dass ein neues Kapitel begann, hatte in Ostjerusalem Baumwollstoff gekauft und zu einem arabischen Schneider gebracht, der einen neuen Maßanzug für ihn nähte.
An der Tür musterte sie ihn, als sei er ein kleiner Junge auf dem Weg zu seinem ersten Schultag. Sie vergewisserte sich, dass er die Tabletten, die Lese- und die Sonnenbrille mitgenommen hatte, und erst nachdem sie sicher war, dass wir nichts vergessen hatten, signalisierte sie uns, dass wir aufbrechen konnten, küsste die Mesusa am Türstock und sperrte die Wohnung ab.
Auf der Fahrt nach Hebron dachte ich über die Veränderung nach, die an meinem Vater erkennbar war. Sein Verhalten an diesem Tag brachte mich dazu, mich an die schwere Auseinandersetzung zu erinnern, die wir vor zwei Jahren gehabt hatten, und erneut zu überlegen, was er damals gesagt hatte.
Eines Tages war ein hochgewachsenes, fragiles junges Mädchen
in unser Viertel gekommen, von der soziologischen Fakultät der hebräischen Universität. Sie sagte, sie erstelle eine Forschungsarbeit mit dem Ziel, »das Maß an Zufriedenheit der Neueinwanderer hinsichtlich der Integration im Lande« zu untersuchen, und wollte meinen Vater dazu befragen. Ich war sicher, er würde es ablehnen, sich interviewen zu lassen, warum sollte er wieder in den Schmerz eintauchen und ihr von seinem Traum und seinem Scheitern erzählen? Doch mein Vater bat sie herein, und bis ich ihr Kaffee mit Milch ohne Zucker nach ihrem Wunsch zubereitet hatte, hatte mein Vater schon ein Tablett mit Keksen und Orangen vor sie hingestellt. Sie setzte sich aufs Bett, zog einen großen Fragebogen hervor und überschüttete ihn mit Fragen, die im Grunde alle Variationen des einen Themas waren: »Geht es Ihnen gut in Israel?«
Mein Vater sagte, er sei mit sich selbst im Reinen bezüglich seiner Einwanderung, er bereue es nicht, er würde es wieder tun, dass es ihm gut gehe, er sich gut integriert habe und dergleichen mehr.
Nachdem sie mit ihren Fragen fertig war und ich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, konnte ich nicht an mich halten und fragte: »Papa, warum hast du ihr was vorgemacht?«
»Wovon redest du?«
»Du hast gesagt, dass alles in Ordnung sei, dass es dir gut geht in Israel, dass du es nicht bereust«, imitierte ich ihn spöttisch. »Wie das? Hast du alle deine Träume verwirklicht? Hast du im Chuletal einen Landwirtschaftsbetrieb zum Anbau von Reis errichtet, wie du es dir in Bagdad erträumt hast? Hast du nicht im Zelt gewohnt, in einer Blechbaracke, einer Hütte? Hast du nicht sieben Jahre lang geduldig gewartet, bis der Palast deiner Träume fertig war, eine Immigrantenunterkunft mit dreiundvierzig Quadratmetern in dem
Weitere Kostenlose Bücher