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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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völlig entrechteten Menschen, der ohne Boden unter den Füßen in der Luft hängt.«
    »Das ist genau das, was uns jetzt passiert«, entgegnete der Senator.
    Mein Vater legte den Kopf schief, als wollte er sagen, das sei nicht zu vergleichen. »Unsere Familie besaß Land, tausende Dunams, ganze Dörfer, Traktoren, moderne landwirtschaftliche Maschinen. Hunderte Muslime arbeiteten bei uns, wir waren die Ersten im Irak, die Reis und Korn in den Westen exportierten. Diesen gesamten Besitz hat die irakische Regierung beschlagnahmt, alles haben sie genommen! Sie haben uns zu Flüchtlingen gemacht«, wiederholte mein Vater die Argumente meiner Mutter, gegen die er sich zuvor gewehrt hatte, nahm eine Zigarette aus der Schachtel, roch an ihr und steckte sie wieder zurück. »Danach kam die Sehnsucht. Nach zu Hause, nach dem Geruch der Zitronen und Datteln und auch nach den Friedhöfen, in denen unsere Vorfahren begraben liegen. Herr Senator, bis heute habe ich die Schlüssel unseres Hauses in Bagdad zum Andenken aufbewahrt.«
    Statt meinem Vater darauf zu antworten, wandte sich der Senator nun an mich: »Ihr verhaltet euch wie die Bösewichter des Viertels. Warum haben Sie das Büro des Vorsitzenden Schukeiri in Besitz genommen? Habt ihr keine Ehre?« Ich ignorierte den persönlichen Angriff, worauf er fortfuhr: »Unsere Leute beklagen sich über das Innenministerium, das Wirtschaftsministerium, die Grundstücksverwaltung, ihr macht, was ihr wollt. Wer hat euch die Erlaubnis hierfür gegeben? Al-Quds asch-Scharif ist verloren gegangen und die Welt in Winterschlaf gesunken«, klagte er wieder mit heiserer Stimme.
    »Verehrter Herr Senator, die Erlösung kommt nicht von dieser Welt. Unser Problem, das der Söhne Abrahams, ist, ob wir das Zerwürfnis zwischen Isaak und Ismail weitertreiben oder ob wir
lernen werden, einen Kompromiss zu schließen, nebeneinander zu leben. In unserer Heiligen Schrift wird von einem Familienstreit zwischen den Hirten Abrahams und Lots erzählt. Abraham sprach zu Lot: ›Wir sind Brüder. Steht dir nicht alles Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.‹ Da haben Sie die Lösung unseres gemeinsamen Vaters Ibrahim al-Chalil. Warum folgen wir nicht seinem Weg?«, fragte mein Vater.
    »Ihr seid in unser Land eingedrungen.«
    »Mit Verlaub, verehrter Herr Senator, wir waren immer hier, wir sind weggegangen und wiedergekommen, einmal waren wir die Mehrheit und einmal die Minderheit.«
    »Ihr seid keine Ehrenmänner. Euer Gouverneur hat unseren Bürgermeister zu sich bestellt und ihn angeschrien, als sei er irgendein Strolch.«
    »In dieser Angelegenheit haben Sie recht, Herr Senator, die Leute des Westens kennen die Regeln von Höflichkeit und Ehre der Araber nicht«, stimmte mein Vater zu und berührte freundschaftlich die Hand des Gastes. Die Augen des Senators wurden milder, und sein Körper neigte sich in Richtung meines Vaters.
    »Wir haben hunderte Jahre zusammengelebt, bis die Zionisten kamen und alles kaputtmachten. Wir und ihr sind ihre Opfer. Sie haben die Flamme des Hasses entzündet, sie haben uns zu Feinden gemacht.«
    »Verehrter Herr Senator«, sagte mein Vater mit einer Gelassenheit, die mich staunen ließ, »und davor hat man die Juden nicht verfolgt und Pogrome veranstaltet? Schon zu Muhammads Zeiten wurden Juden geschlachtet, und von den Pogromen der Christen an den Juden brauche ich Ihnen nichts zu erzählen. Die Tatsachen sind bekannt. Ist es nicht an der Zeit, mit dem Blutvergießen aufzuhören?«
    »Was mit Gewalt genommen wurde, kann nur mit Gewalt wieder zurückerlangt werden«, wiederholte der Senator Nassers
Parole. »Wie könnt ihr Frieden verlangen und stolz auf euer demokratisches System sein, wenn ihr internationale Verbrechen begeht?«
    »Herr Senator, 1941 in Bagdad, während des Wochenfestes, eines Festes unserer heiligen Thora, sind die Muslime über uns hergefallen, haben uns gemetzelt, Säuglingen die Füße abgehackt, um ihre Goldreifen zu rauben, und die Frauen vergewaltigt, haben Häuser in Brand gesteckt, und alles ohne Grund, nur weil wir Juden sind. Sie sehen also, in dem Wettstreit um Mord und Vertreibung haben wir keinerlei Chance gegen euch.«
    Es herrschte Schweigen. Mein Vater nahm sich eine Zigarette aus der Damaszener Holzschachtel und bot dem Gast eine an, bevor er sie anzündete: »Rauchen der Herr?«
    »Ja. Das heißt, nein«, erwiderte der Senator

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