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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Aristokratenviertel Katamon 6? Wieso ist auf einmal alles gut und schön?«
    Mein Vater zündete sich eine Zigarette an und stand auf. »Mein Sohn, trinkst du einen Kaffee?«, schlug er vor, das Zeichen für ein
wichtiges Gespräch, ging in die Küche und braute den überragenden Kaffee, den nur er zu machen verstand. Dann kam er zurück und schenkte uns beiden ein. »Mein Sohn, so wahr wir leben, schwöre ich, dass ich der Studentin nichts gesagt habe, was ich nicht auch denke. Gott sei Dank, dass wir nach Israel eingewandert sind, wir haben Freiheit, Unabhängigkeit, und wir sind in unserem eigenen Staat …«
    »Aber was hast du erreicht?«, unterbrach ich ihn.
    »Glaubst du, ich hätte davon geträumt, Ministerpräsident zu werden? Ich bin um eurer Zukunft willen eingewandert. Kabi und du habt hier die Universität besucht, Moschi hat eine Parzelle Land im Moschav, Ephraim wird im Kibbuz erzogen. Gelobt sei Sein Name, ihr seid alle versorgt und habt eine Zukunft vor euch.«
    »Papa, die Studentin hat nach dir gefragt, nicht nach uns.«
    »Es stimmt, ich hatte einen Traum, und ich habe einiges durchgemacht … und ich habe keine Arbeit mehr. Aber wenn wir dort geblieben wären, wären wir Geißeln, unter ihren Absätzen.«
    Ich wusste, dass mein Vater nach Israel eingewandert war, um seinen zionistischen Traum zu verwirklichen, und nicht, weil er an uns gedacht hatte, an seine Kinder und seine Frau, die Bagdad überhaupt nicht verlassen wollte. Ich hegte keinen Zweifel, dass mein Vater am Vorabend seiner Immigration nicht an bürgerliche Begriffe wie »für die Familie« oder »für die Zukunft der Kinder« gedacht hatte. Er war ein Idealist, der an der Verwirklichung seines Glaubens hing, ohne Rücksicht auf die ihm Nahestehenden. Aber jetzt, angesichts dieses eigensinnigen Mannes, der zu einem liebenswürdigen Großvater geworden war, begriff ich, was mir damals entgangen war: Mein Vater hatte sich mit den Jahren verändert, und nicht nur im Aussehen. Irgendwann, ohne dass es mir aufgefallen war, hatte er sich dafür entschieden, nicht an einem toten Punkt stehen zu bleiben, bei dem Gedanken, dass sein Opfer vergeblich gewesen war, sondern er hatte Trost im Erfolg seiner Kinder gefunden. Interessant, wie ein Mensch sein
gegenwärtiges Leben gegenüber seinen alten Träumen rechtfertigt und sogar daran glaubt.
     
    Die schadhafte Straße, die sich nach Hebron wand, war voller Autos, Juden, die von Dorf zu Dorf fuhren, getrieben von dem Bedürfnis zu sehen, hektisch zu kaufen, als seien auch sie, wie die Araber, der Meinung, dass sich Israel innerhalb weniger Wochen aus dem Westjordanland zurückziehen würde. Ausgebrannte Autos standen an den Straßenrändern neben zerstörten Lehmhäusern, inmitten der aufgewirbelten Staubwolken ließen sich Tiere erkennen, neben denen Fellachen einhergingen, hier und dort saß jemand auf einem niedrigen Schemel neben einer Kiste kleiner Äpfel oder Pflaumen. Ein Land im Dämmerzustand, verwahrlost, geschwächt und geschlagen. Wahrscheinlich war das das Land, das die Revolutionäre zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts hier vorgefunden hatten, durchdrungen von Glauben, Erlösung suchend, tatendurstig. So hing ich meinen Gedanken nach und stellte sie mir vor, wie sie säten und pflanzten und bauten, wie sie, berauscht von starkem Wein, davon träumten, die Natur und den Menschen zu verändern. Und sie rissen tatsächlich Berge aus und vollbrachten Wunder, während man hier das genaue Gegenteil sah, ein seit Generationen erstarrtes Leben.
    Wir hielten neben Ständen mit Hebroner Glas und arabischen Krügen. Meine Mutter begeisterte sich an den blauen Glasgefäßen, und mein Vater kaufte eine große Obstschale für sie, einen breitmundigen Krug für Eingelegtes sowie Blumentöpfe. »Für deine Blumen«, sagte er lächelnd.
    Am Ortseingang von Hebron, al-Chalil, der Stadt unseres Urvaters Abraham, wuchs die Aufregung. Ein kleiner Junge rollte einen Eisenreifen die schmale Straße entlang, und da half kein ungeduldiges Hupen. Er rannte weiter hinter dem Reifen her, als verkündete er damit dickköpfig: »Das ist mein Zuhause!«
    »So habt ihr in Bagdad gespielt, als ihr Kinder wart«, bemerkte Chizkel.

    Wir setzten die Fahrt fort. Der Markt war überfüllt, dicht gedrängt und schmutzig, Abfallhaufen, dunkle, enge Gassen, gewunden wie jene Haken, an denen frische, bluttriefende Fleischstücke hingen. Und in deren Mitte flossen die übel riechenden Abwässer. Misstrauische Augen

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