Jasmin - Roman
Danach besichtigte er das Haus, einschließlich der Küche und des luxuriösen Schlafzimmers, das immer ungenutzt und verschlossen blieb, und sagte mit einem Lächeln: »Dieser Mann wusste zu leben und für sich zu sorgen!« Seit langem hatte ich meinen Vater nicht mehr lächeln sehen.
Schließlich traf der Senator tatsächlich ein. Er stand unschlüssig auf der Schwelle. Wir erhoben uns zu seinen Ehren, und mit einer leichten Verbeugung forderte ich ihn auf einzutreten. Wir
setzten uns in die mit Damaszener Tisch und Stühlen ausgestattete Gästeecke, neben die frischen Blumen, die Alisa gerade im Garten gepflückt hatte. Er ließ sich auf dem Rand des Stuhls nieder, erlaubte sich nicht, es sich bequem zu machen. Seine Augen wanderten von Ecke zu Ecke, musterten misstrauisch jedes Objekt im Raum. Plötzlich stand er auf, tauschte seine Seh- gegen eine Lesebrille aus und trat an die Wand. »Ich sehe, dass Sie, abgesehen von den Bildern, nichts im Hause verändert haben, ich pflegte oft hierher zu kommen. Der Chef der PLO, Rechtsanwalt Ahmed Schukeiri, war mein Freund. Er hat die letzte Nacht vor seinem Weggang aus al-Quds in meinem Haus verbracht.«
»Es ist uns eine Ehre, dass Sie gekommen sind«, sagte ich.
»Al-Quds asch-Scharif ist verloren gegangen und die Welt in Winterschlaf gesunken«, sagte der Senator und schlug die Hände in Trauer zusammen, als stünde er vor einem Leichnam.
»Wir werden in unsere Welt eingehen, doch al-Quds wird für immer und ewig bleiben«, erwiderte ihm mein Vater.
»Bitte, Herr Senator«, Alisa servierte ihm Kaffee. Das Klappern ihrer Absätze auf dem Marmorboden beim Hereinkommen und Hinausgehen hallte laut in dem gespannten Schweigen.
»Ich habe Ihnen ein Interview mitgebracht, das die Washington Post mit mir geführt hat«, sagte der Senator und legte die Zeitung auf einen Schemel. Sein Bauch wirkte aufgebläht, und von Zeit zu Zeit drückte er darauf, ohne seinen Seufzer zu verbergen. »Die Welt muss erfahren, was ihr macht. Ich dokumentiere alle eure Übeltaten. Jedes Stückchen Information, jeden Zeitungsausschnitt bewahre ich in meinem Archiv auf. Es ist meine Pflicht, die Welt aufzurütteln.«
Seine laute Stimme beleidigte mein Ohr. Im Gegensatz zu mir musterte mein Vater den Senator mit belustigtem Blick und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Ihre Liebe zu al-Quds, verehrter Herr Senator, ist herzbewegend. Wer könnte das besser verstehen als wir. Zweitausend Jahre
haben wir uns nach Jerusalem gesehnt und dorthin gebetet«, bemerkte er.
»Was habt ihr mit al-Quds zu schaffen?«
»Herr Senator, Jerusalem wird in unserer Thora 667 Mal erwähnt und Palästina 4584 Mal. Im Koran dagegen wird Jerusalem nicht ein einziges Mal erwähnt.«
»Wieso haben Sie dann das Moghrabiviertel zerstört?«
»Um unsere Mauer aus der Dunkelheit ans Licht zu bringen, um unseren tausenden Betenden den Zugang zu ermöglichen.«
»Und warum verändern Sie den Charakter der Stadt?«
»Es liegt in der Natur des Krieges, dass er die Wirklichkeit verändert und neue Machtverhältnisse erzeugt. So trifft er ehemals Privilegierte und schafft andere Begünstigte. 1948 habt ihr das jüdische Viertel erobert und dort gemacht, wonach euch der Sinn stand. Einen Teil der Einwohner habt ihr ermordet, einen anderen Teil gefangen genommen, die Gebäude im Viertel habt ihr bis auf den Grund zerstört. Habt ihr mit all dem nicht den Charakter des jüdischen Viertels verändert?«
Ich lauschte ihnen gespannt wie eine Feder. Ich fürchtete, die Tatsachen, die mein Vater anführte, würden den Senator hinaustreiben und den Faden des Gesprächs, der sich gerade erst entsponnen hatte, durchtrennen. Was hatten die Worte meines Vaters an sich, dass sie es ihm ermöglichten, eine solch sensible Stelle zu berühren und heil davonzukommen?, fragte ich mich.
»Ihr benehmt euch wie grausame Eroberer gegenüber den Einheimischen, die seit Generationen hier leben. Sind so unsere Brüder im Irak mit euch umgegangen?«
»Siebzig Generationen lang waren wir im Irak ansässig! Und eines Tages haben sie uns vertrieben.«
»Vertrieben? Ihr wolltet gehen, ihr seid Zionisten, ihr habt das Regime unterminiert.«
»Verehrter Senator, man hat uns mit einem Sondergesetz dazu gezwungen, auf unsere Identitätsausweise, unsere Staatsbürgerschaft zu verzichten. Die Hände haben mir gezittert, als ich meinen
Ausweis abgab. Die Wurzeln von siebzig Generationen wurden mit einem Federstrich gekappt, ich wurde zu einem
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