Jasmin - Roman
studierte den Boden, der über und über mit Splittern bedeckt war, und plötzlich griff sie sich an den Kopf und fing an zu weinen. Ich brachte ihr ein Glas Wasser und umarmte sie. Ihre Glieder zitterten, als verlangten sie nach Berührung, als schrien sie nach Trost.
Ich ging und stellte ein Kännchen Kaffee auf die Flamme. Der Kaffee wallte auf, kochte über und schwärzte den Herd. Ich servierte das, was davon übrig war, in Gläsern, nicht in Tässchen, und entschuldigte mich bei ihr, dass ich ihr arabischen Kaffee servierte, als sei es ein israelischer Aufguss.
»Die ganze Zeit verwandelst du dich. Nuri, wer bist du, was machst du mit mir?«
Mit dem Glas in der Hand und dem vielen Arrak im Kopf sprudelten die Worte nur so aus meinem Mund: »Ich bin ein arabischstämmiger Jude, der die Wunder des Westens schätzt. Ich höre klassische Musik am Morgen und arabische Musik am Abend. Ein Wanderer zwischen zwei Welten, mit einem Bein hier und einem dort, und manchmal bringe ich die Füße durcheinander.
Ich liege mit mir selbst im Zwiespalt und mit denen, die meine Brüder sein sollen. Einmal sind sie mir nahe, ein andermal fürchte ich mich vor ihnen. Ich sehne mich nach dem Tigris, den Palmen und meinem Zuhause in Bagdad, aber ich würde nie dorthin zurückkehren, ich werde kein Bürger zweiter Klasse …
Ich bin furchtbar böse auf euch, die Araber. Ihr wisst nur zu herrschen, seid nicht bereit, den anderen zu akzeptieren und Kompromisse zu schließen, wobei ein Kompromiss nicht Schwäche bedeutet, sondern heißt, auf etwas zu verzichten, um etwas anderes − vielleicht mehr − zu erhalten. Jasmin, weißt du, dass es in der arabischen Sprache nicht ein einziges Wort für Kompromiss gibt? Es gibt ›Handeln‹ und ›Zwischenlösung‹, aber keinen Kompromiss …
Ich liebe den Orient, das Familiäre, die Umgangsformen, die menschliche Wärme, die Farben und Gerüche, das Gedränge und den Schweiß, aber ich verabscheue auch seinen Gestank, die Heuchelei und den Betrug, den blinden, grausamen Fanatismus, und ich ziehe die Offenheit vor, die luftigleichte Entfremdung und Distanziertheit des Westens.
Ich bin ein Hebräisch sprechender Israeli, der in jüdischem Arabisch, meiner Muttersprache, von meinem warmen Zuhause träumt.« Ich schenkte mir noch ein Glas ein. »Mit meiner Muttersprache und diesem Arrak bin ich dir näher als vielen meiner Volksgenossen. Und jetzt sollst du wissen, meine Schönste, dass mich deine Laune, ausgerechnet Englisch mit mir zu sprechen, wahnsinnig macht. Jasmin, die Sprache ist der Schlüssel zum Herzen.«
Vom ersten Augenblick an hatte ich das sagen wollen, doch erst in dieser Nacht, halb betrunken, kamen diese Worte aus meinem Mund. Warum hatte ich sie bis dahin zurückgehalten, wovor fürchtete ich mich? Jasmin wurde nicht wütend und wandte sich nicht ab, mir schien, sie lächelte sogar.
Meine Lider wurden schwer. Der Eiswürfel, den ich lutschte, um mich wachzurütteln, blieb in meinem Mund stecken, bis er von selbst schmolz, und Nebel umhüllte mich.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich Jasmin über mich gebeugt, ihre kleinen Ohren durchscheinend wie die eines Babys, ihr Hals seidenglatt. Ein aufreizender Geruch nach Arrak und Zigaretten wehte aus ihrem Mund. Ich schlang meine Arme um sie, spürte ihr Herzklopfen, und meine Hand drang zu ihren Schenkeln vor, strebte zum Objekt meiner atemberaubenden Begierde.
Warum versteinerte ich plötzlich? Was war los mit mir? Weshalb tat ich nicht, wonach es mich mehr als alles andere gelüstete? Warum streckte ich mich neben ihr aus, verschränkte die Hände unterm Kopf und starrte an die Decke, statt zu ihr zu kommen?
Aber wie konnte ich jetzt? Sie war berauscht vom Arrak, ohne Selbstkontrolle, hatte alle meine Gläser zerbrochen, geweint, wer
weiß, was sie wollte? Ich wollte sie, wenn der Arrak verraucht war, nüchtern, bewusst, vollständig.
Jasmin, ungleich Michelle, sagte kein Wort. Sie lag schweigend neben mir, und ich spürte, wie sie mich von der Seite beobachtete. Ganz unvermittelt stand sie auf, knöpfte ihre Bluse zu und glättete ihre Kleider. »Bring mich nach Hause«, sagte sie.
Idiot, dachte ich, du hast sie verletzt, doch ich konnte es nicht mehr ändern.
Den Weg nach Scheich Dscharrah fuhr ich langsam, betrunken und aufgewühlt, aber wie durch ein Wunder auch vorsichtig. Als wir ihr Haus erreichten, verbot sie mir zurückzufahren, und ich blieb über Nacht im Büro.
Auf dem Sofa Ahmed Schukeiris ließ mich
Weitere Kostenlose Bücher