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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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gelesen und beschlossen, weder darüber zu reden noch gegenseitige Eindrücke auszutauschen, bevor wir gehört hatten, was man über das Werk und den Schriftsteller selbst sagte.
    Wir saßen nahe am Podium. Es war das erste Mal, dass ich ihn von Angesicht zu Angesicht sah: Ein junger Mann in meinem Alter, sehr gut aussehend mit scharf geschnittenem Gesicht, ausdrucksstark, einem direkten, flammenden Blick. Er erinnerte mich an die Sabres in meinem Kibbuz damals. Quadratische, starke Handteller, verhältnismäßig klein, die Finger grob geschnitzt und kurz wie bei einem Bauern. Ich hatte gehört, dass er im Kibbuzdienst gewesen war, hatte das Melken der Kühe seine kräftigen Handteller so geformt?
    Er sprach flüssig, mit vollkommener einheimischer Artikulation und energischen Handbewegungen. Die Sätze, Redensarten und originellen Metaphern sprudelten aus seinem Mund wie ein schäumender, mächtiger Wasserfall. Sein Vortrag war gut durchdacht, pointiert, ungemein überzeugend. Bis ich einen geschliffenen Satz verdaut hatte, kam schon der nächste, der dritte und vierte, jeder eine schillernde, glänzende Perle. Woher kam dieser Überfluss? Seine Sprache quoll, strömte kühn wogend wie der Tigris im Winter.
    Ich saß nach vorne gebeugt da, lauschte gespannt, wollte keinen Buchstaben versäumen, als ich plötzlich von einer Art geistigen Schwäche ergriffen wurde, mir schwindelte, ich konnte nichts mehr aufnehmen. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück, bedeckte meine Augen mit den Händen. Jasmin spürte, dass etwas in mir vorging, und nahm meine Hand in ihre, streichelte sie beruhigend, ohne zu wissen, weswegen und warum.

    Am Ende des Vortrags, der mit viel Beifall quittiert wurde, gingen zahlreiche Zuhörer mit Büchern in der Hand zu dem Schriftsteller, um ein Autogramm zu erhalten. Wir schlossen uns nicht an, obwohl auch wir unsere Exemplare zum Signieren mitgebracht hatten. Jasmin hakte mich unter und zog mich nach draußen.
    »Du hast dich überhaupt nicht wohlgefühlt. Was ist los?«, fragte sie.
    »Sein Hebräisch, ja Allah! Ein Weltwunder!«
    »Mein lieber Nuri«, sagte sie, als offenbare sie eine unerwartete Erkenntnis, »es hilft alles nichts, du wirst noch ein Schriftsteller.«
    »Ich werde ein Schriftsteller, so wie du eine Wahrsagerin wirst.«
    »Das ist kein Scherz«, stellte sie mit sicherer Ruhe fest, »sondern nur eine einfache sprachliche Tatsache, die dir vielleicht nicht bewusst ist. Eine solche Sensibilität gegenüber Worten, wie du sie heute selbst gespürt hast, ist die natürliche Krankheit von Schriftstellern und macht vielleicht einen Teil ihrer Schaffenskraft aus. Ich kenne sie aus nächster Nähe, mein Vater ist auch ein Dichter.«
    Wir betraten ein Café, setzten uns an die Theke, und Jasmin teilte ihre Eindrücke mit mir. »Den ganzen Vortrag hindurch habe ich versucht, die Diskrepanz zwischen diesem begabten und eindrucksvollen Schriftsteller und den Figuren in seinem Buch auf die Reihe zu kriegen«, sagte sie. »Er ist brillant, sicher, stark. Sogar seine Kompliziertheit ist kompakt, sehr konkret, während seine Figuren luftig, leidend, mit sich ringend sind. Eine Art unwirkliche Helden, ohne Kanten und Ecken, so sauber irgendwie, ohne Ausscheidungen, ohne Gerüche nach Fleisch und Blut und Eiter. Ich habe mich gefragt, ob ein Jude über Araber schreiben kann und sie in ihrer Wirklichkeit darstellen, in ihren Handlungen und Antrieben, mit ihren Bräuchen und ihrer Fähigkeit, von ihren Gewohnheiten abzuweichen, ohne sie dabei zu Stereotypen zu verflachen und ohne Höhen und Tiefen gleichzeitig aufzublähen.«
    »Doktor Jasmin, du bist bezaubernd«, versuchte ich der tiefen
Bewunderung, die ihre Worte in mir hervorriefen, eine liebenswürdig leichte Note zu verleihen. Und weshalb sagte ich ihr nicht, dass sie klug war, fragte ich mich, hätte ich auch zu einem Mann, dessen Verständnis und Meinung beeindruckend waren, gesagt, er sei »bezaubernd«?
    Zwei Paare drängten an die Theke, forerten uns mit ihren Blicken auf, unsere Plätze freizumachen. Für gewöhnlich lassen mich solche Blicke aufspringen, doch diesmal reagierte ich aus irgendeinem Grund nicht auf den Wink. Ich bestellte zwei weitere Biere, wir tranken sie gemütlich, und erst danach glitten wir von den Hockern und gingen hinaus, die Ben-Jehuda-Straße hinunter.
    »Erinnerst du dich, dass du mir versprochen hast, mit mir einen Ausflug ins Land zu machen?«, fragte sie. »Gilt das Versprechen noch?«
    »Avec plaisir.

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