Jasmin - Roman
Vielleicht möchtest du unter anderem meinen Kibbuz besuchen. Es erwartet mich in Kürze ein Vortrag dort, und wir könnten das mit einer Rundfahrt verbinden.«
»Was für ein Vortrag?«, wollte sie wissen.
»Über den israelisch-arabischen Konflikt. Vor ein paar Tagen ist Chagi in mein Büro gekommen, der Arabist von Kiriat Oranim. Ich habe mit ihm einen Rundgang durch den Ostteil der Stadt gemacht, wir haben uns lange unterhalten, und bevor wir uns verabschiedeten, hat er gefragt, ob ich bereit wäre, vor den Kibbuzmitgliedern zu reden. ›Es besteht ein großen Interesse bei uns im Kibbuz an der arabischen Sache‹, hat er gesagt. Ich habe zugesagt, aber es ist noch nicht endgültig, er muss zuerst eine Genehmigung vom Kulturausschuss im Kibbuz einholen. Ich warte nur noch auf Chagis Bestätigung. Jasmin«, fügte ich hinzu, »es gibt da ein kleines Problem. Der Vortrag ist am Abend, und der Kibbuz liegt im Jezreeltal, vier Stunden entfernt von Jerusalem. Wir müssen dort übernachten.«
»Das ist völlig in Ordnung.«
»Und wenn wir vielleicht in einem Zimmer schlafen müssen?«
Sie lächelte, oder kam es mir nur so vor?
39.
»ENTWEDER BIN ICH VERRÜCKT - ODER SIE SIND ES«
Ich begann, Material für den Vortrag im Kibbuz zu sammeln. Mir war klar, dass ich nicht systematisch vom Blatt lesen, sondern mich an die Zuhörer flüssig, mit eigenen Worten wenden wollte. Toscanini sagte einmal, es sei besser, »die Partitur ist im Kopf als der Kopf in der Partitur«. Ich wollte nicht mit dem »Kopf in den Aufzeichnungen« vortragen, was mich zu einer ungleich gründlicheren Vorbereitung zwang, denn die Worte mussten in den Kopf hinein und einen natürlichen Redefluss ermöglichen.
Im Verlauf der Arbeit überfiel mich manchmal lähmende Angst, wie sollte ich dort stehen und ihnen meine Worte vortragen? Dem gesellte sich diesmal noch die Furcht angesichts Jasmins Anwesenheit hinzu. Ich befürchtete, dass ich mich ihretwegen anders geben könnte, ihr gefallen wollte und nicht natürlich reden würde. Ich hatte auch Angst, sie würde vielleicht mit ansehen müssen, dass ich keinen Kontakt zum Publikum herstellen konnte oder stecken bliebe, mich verhedderte. Andererseits wollte ich unbedingt, dass sie dabei wäre und das, was ich und wie ich es sagen würde, ihre Zustimmung fände.
Das Telefon klingelte, es war Pe’era Schadmi, die Frau meines Professors. Sie sagte, dass es Schadmi nicht gut gehe und fügte zögernd hinzu: »Ein Besuch von Ihnen würde ihn freuen.«
Am nächsten Vormittag suchte ich ihr Haus in Rechavia, dem deutschen Viertel, auf. Die Wohnung stand auf dem Kopf: Bücher, Handschriften und alle möglichen persönlichen Dinge aus dem Arbeitszimmer waren im Wohnzimmer gestapelt und dazwischen der Professor, der in Hausmantel und Krawatte in dem großen
Ledersessel lag. Nie hatte er sich erlaubt, seine Kleidung zu vernachlässigen. Bei meinem Eintreten schloss er das Buch in seinem Schoß, die »Muqadima«, die »Einleitung zur Wissenschaft der Geschichte« von Ibn Chaldun, von dem ich vom Hörensagen wusste, dass er sich bereits im vierzehnten Jahrhundert unter anderem mit der Philosophie der Geschichte befasst hatte. Pe’era entschuldigte sich für das Durcheinander und servierte uns Tee auf einem gehämmerten Kupfertablett.
»Wir haben beschlossen, das Arbeitszimmer zu vergrößern und den Balkon dazuzunehmen, aber die Arbeit nimmt kein Ende. Schon seit fünf Wochen sitzen wir mitten in Staub und Unordnung, und es ist kein Ende in Sicht. Ich fürchte, dass ich davon krank geworden bin«, sagte der Professor.
»Der Bauleiter behauptet, es gelinge ihm nicht, Arbeiter zu finden. ›Jeder jüdische Bauarbeiter ist ein Boss geworden‹«, zitierte ihn Pe’era. »Ich habe vorgeschlagen, er solle arabische Arbeiter nehmen, aber Schadmi ist dagegen.«
»Wir wollten, dass es hier hebräische Arbeit gibt, dass wir unsere Bedürfnisse mit eigenen Händen befriedigen«, sagte Schadmi, »und wenn wir einmal anfangen, uns auf arabische Arbeiter zu verlassen, werden wir von ihnen abhängig, bis sie uns schlucken.« Er setzte seine Lesebrille auf, nahm das Buch von Ibn Chaldun auf, blätterte darin und sagte: »Es gibt hier einen Abschnitt, der beschreibt, wie sich ein militärischer Sieg und seine Früchte auf die Besiegten auswirken. Ich habe ihn gelesen und hatte das Gefühl, dass von uns und dem, was uns erwartet, die Rede ist, auch wenn es vor hunderten Jahren geschrieben worden ist: Die
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