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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Also, mein Lieber, das musst du wissen. Jabne war der Sitz der Weisen, und Rabbi Jochanan ben Zakai, der bestrebt war, das Judentum zu retten, verlegte den Sanhedrin dorthin als geistiges Zentrum, das die Existenz des Volkes Israel in Zukunft sichern würde. Das ist, was wir sagten, das
Wesen ist die Hauptsache, das Wesen hat unser Volk bestehen lassen, nicht die Steine und nicht die heilige Stätte, von der keiner weiß, ob und wann sie überhaupt für uns erreichbar sein wird. Ben Zakai glaubte, dass es nicht wichtig sei, wer die Steine und den Berg beherrscht. Hätte er sich den Fanatikern gebeugt, würden wir heute nicht hier sitzen.«
     
    Endlich drang ich zu dem Offizier durch, der für den Übergang am Mandelbaumtor verantwortlich war. Er verlangte einen Personalausweis, den ich nicht hatte, doch zu meinem Glück konnte ich ihm den Ausweis zeigen, den ich am Morgen vom Sicherheitsoffizier im Büro des amtierenden Ministers erhalten hatte. »Mit einer solchen Genehmigung warten Sie in der Schlange?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
    Ich stieg in ein Taxi. Der Fahrer, in meinem Alter, mit Schirmmütze, blickte mich an, darauf wartend, dass ich ihm mein Fahrtziel nannte.
    »Zur Militärverwaltung. Aber vorher möchte ich eine Runde durch die Stadt, und fahren Sie bitte langsam, ich möchte meine Augen baden.«
    »Bade sie, mein Lieber, bade sie nur! Wir haben alle Zeit der Welt«, sagte er in ausdrucksstarkem, gutturalem Hebräisch, ein Vergnügen für die Ohren. Plötzlich beneidete ich ihn und ärgerte mich über mich selbst, dass ich mir meine arabisch geprägte Aussprache abgewöhnt und mir das Chet der Kibbuzler antrainiert hatte.
    »Stammen Sie aus der Altstadt?«, fragte ich.
    »Hört man das nicht? Ich bin dort drinnen geboren, zwischen den Mauern.«
    »Erinnern Sie sich noch daran?«
    »Kann man die Altstadt je vergessen? Das Goldene Tor, die Davidszitadelle, das Grabmal des Absalom, die Via Dolorosa, der Basar …«
    Die Straßennamen standen in Arabisch und Englisch auf Keramikfliesen
in Schwarz, Grün und Weiß. Ich las sie langsam und laut, wie ein Kind, das lesen lernt. Ich versprach mir zu prüfen, wie man die Namen der Straßen bei uns schrieb, ich hatte nie darüber nachgedacht.
    »Hurensöhne, alles geschlossen. Was ist denn, gefallen wir ihnen nicht?«, sagte der Fahrer und zündete sich eine Zigarette an.
    »Das sind nicht sie, das sind wir. Der Militärgouverneur hat Ausgangssperre verhängt«, erwiderte ich.
    »Schade, ein großer Fehler. Ich wollte Elektrozeug kaufen, bevor sie von uns lernen und die Preise erhöhen«, murrte er und fuhr mich weiter durch die verödeten Straßen. Orte und Begriffe, die mich der gute Professor Schadmi gelehrt hatte, stiegen in meinem Gedächtnis auf.
    Eine tote Stadt, Soldatenposten, und aus dem Radio drang die Stimme meines amtierenden Ministers mit Pathos und seiner charakteristischen Intonation: »Jerusalem, die vereinigte Stadt, die wieder zusammengefügt wurde, die Hauptstadt Israels in alle Ewigkeit …«
    »Sie fangen an, Gehirnwäsche zu machen«, knurrte der Fahrer und spuckte aus dem Fenster. »Welche Ewigkeit bitte? Ein Huster von Amerika, und wir kehren in den Käfig zurück, wie 56.«
    »Wo ist Wadi el-Joz?«, fragte ich.
    »Warum sagst du das nicht früher?«, sagte er und bog zum Rockefeller-Museum und von dort nach links ab. Wir sahen geschlossene Werkstätten, Schrotthaufen, aufgegebene Autoskelette, alte Motoren und mit Müll übersäte Grundstücke, und plötzlich - Krach! Ein Steinhagel ergoss sich über das Taxi. Ich zog den Kopf ein. Der Fahrer fluchte. Wir blickten uns in alle Richtungen um, doch wir sahen keine Menschenseele.
    »Hurensöhne, wir haben keine Angst«, sagte er und hielt an.
    »Fahren Sie, fahren Sie«, beschwor ich ihn und fügte auf Arabisch hinzu: »Von einer bösen Sache soll man sich entfernen.«
    »Wie kommt das«, erboste er sich, »gerade haben wir sie im Krieg zertrampelt, und schon heben sie wieder den Kopf.«

    Auf der rechten Seite standen ein paar Hütten. Vielleicht wohnte Ghadir in einer davon, das schöne Hirtenmädchen, das ich damals am Har Hazofim vor neun Jahren kennengelernt hatte. Was war wohl aus ihr geworden?
    Schmutz an den Straßenrändern, Papier flog herum, geschlossene Läden, auch die Hotels waren außer Betrieb. Aus den Fenstern der Häuser, hinter Vorhängen, spähten neugierige Augen. Ich lächelte ihnen zu und hörte sofort wieder damit auf, damit sie in dem Lächeln nicht

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