Jasmin - Roman
Gerät war mit der Planierung der Hügelkuppe zugange, eliminierte das Stück Niemandsland, erweiterte den Platz. Staubwolken wälzten sich über das Gelände, Tumult und Lärm, hunderte Neugierige standen da und gafften. Ich sah wie hypnotisiert zu, niemals, nicht einmal im Traum, hatte ich daran gedacht, dass sich Ostjerusalem jemals vor uns auftun würde.
Jetzt wollte ich es sehen, doch der Übergang war versperrt. Jemand sagte, man sollte es am Mandelbaumtor versuchen. An dem Tor drängte sich eine Menschenmenge um den Kontrollposten. Früher standen hier jordanische Soldaten und Beobachter der UNO und jetzt - Soldaten und Polizisten in Blau-Weiß. Ein Schild, »Halt, Grenze!«, lag auf dem umgestürzten Stacheldrahtzaun.
Ich stand in der Schlange und blickte zum Dolmetscherposten hinüber, biss mich auf die Lippen, wie damals vor neun Jahren, als ich von hier aus die Grenze zur hebräischen Universität auf dem Har Hazofim, dem Mount Scopus, überschritt. Großer Gott,
wie die Zeit verging. Ich erinnerte mich an die neidischen Blicke meiner Truppenkameraden.
»Wir gehen ins Ausland«, sagte damals Oberfeldwebel Ephroni bei der Einsatzbesprechung, und um die Größe der Stunde zu unterstreichen, zog er aus seiner Hosentasche ein Päckchen amerikanischer Zigaretten, während er mit einem bedeutungsvollen Vortrag begann: »Wir werden auf dem gleichen Weg den Berg hinaufgehen, auf dem die Nachschubkolonne des Hadassa-Krankenhauses 49 grausam ermordet wurde. Das war, als Abd al-Qadir al-Husseini beim Kastell gefallen war, vier Tage nach der Eroberung von Deir Jassin durch die jüdische Untergrundbewegung Etzel und dem Massaker dort. Der Har Hazofim, das Hadassa-Krankenhaus dort, war abgeschnitten, der britische Gouverneur stimmte zu, dass jüdische Hilfspolizisten den Zug begleiteten. Am Nachmittag traf die Nachricht ein, dass alle Personen der Kolonne, 78 Männer und Frauen, im Scheich-Dscharrah-Viertel getötet worden waren. Die Leichen von 22 von ihnen wurden nicht gefunden. Das ist das Wesentliche der Geschichte«, schloss er, »wir töten sie, und sie töten uns, und die Welt schaut sich das an und hält uns für ein Irrenhaus.«
Als wir den Har Hazofim erreichten, empfing uns der dortige Befehlshaber, der »König des Berges«, zeigte uns das Krankenhaus, die Universitätsgebäude, die Nationalbibliothek, das Kiefernwäldchen. Einen guten Monat hielten wir uns dort auf, Soldaten, Spezialisten auf verschiedenen Gebieten, getarnt als Angestellte des Hadassa-Krankenhauses. Ich war für die Funkverbindung verantwortlich. Es war wie Militärdienst aus einer anderen Welt - dem äußeren Anschein nach ein Gefängnis, keiner kam hinein oder hinaus, gleichzeitig aber schoben wir einen bequemen, geradezu luxuriösen Dienst. Ich erinnere mich an den wunderbaren Geruch des Brotes, das dort gebacken wurde, und an die erlesenen Mahlzeiten, wie in einem Nobelrestaurant, die uns ein älterer Reservist kochte, der Chef des Dan-Hotels in Tel Aviv war. Und der Platz war so isoliert, dass ich es mir leistete,
mich mit Ghadir, einem Hirtenmädchen von der anderen Seite der Grenze, anzufreunden, doch das ist eine andere Geschichte.
In den wenigen Mußestunden war uns eine Art Vorlesungsreihe vom Spezialistenstab der Bibliothek und des Krankenhauses und den Mitarbeitern der Akademie vergönnt, die die Labore und Installationen der Universität instand hielten. Ich liebte vor allem die Vorträge zur Geschichte Jerusalems, die Professor Meir Schadmi hielt, ein liebenswürdiger alter Herr, dessen Kopf eine Ben-Gurion-Mähne zierte und dessen hervorstehende Zähne seinem breiten Lächeln Schalkhaftigkeit verliehen. Damals, vor neun Jahren, schämte ich mich für mein dürftiges Wissen. Ich war ein Sohn der Massenimmigration der fünfziger Jahre, und ich hatte keine ordentliche Bildung genossen. Tagsüber hatte ich für meinen Lebensunterhalt gearbeitet und am Abend in der externen Schule für Berufstätige gelernt. Dank der Schule und meiner engagierten Lehrer war es mir zwar gelungen, Abitur zu machen, doch meine Bildung war aufgrund der Umstände lückenhaft wie ein Schweizer Käse. Und dieser übersprudelnde Professor Schadmi schien mir wie vom Himmel gesandt, ein bescheidener, lächelnder Wissenschaftler, der sich mit seinen Kenntnissen nicht wie ein Pfau brüstete, sondern frohen Herzens alle Bedürftigen an seinen Schätzen teilhaben ließ. Ich wusste damals kaum etwas über Ostjerusalem. In Bagdad hatte ich von meiner
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