Jasmin - Roman
Stück zu nehmen, und als sie nicht reagierte, nahm ich mir ein großes, schönes. Ja salam, wollte ich sagen, doch ich hielt meine Zunge im Zaum und sagte auf Englisch, die Melone sei ausgezeichnet.
Nun nahm auch sie sich ein Stück, kaute langsam, und meine Augen hingen an ihrem Mund. An wen erinnerten mich diese Lippen? An Jeanne Moreau, den Star meiner Jugend, als Zwanzigjährige, die großen Augen, die gewölbten Lippen in Bewegung wie die eines Babys.
»Nach einer solchen Melone habe ich mich in Paris gesehnt. Mit salzigem Käse und frischem Pitafladen am Abend auf dem Balkon«, sagte sie und senkte die Stimme dabei. Ich wollte mich daran festhalten, rückte mit meinem Stuhl näher an den Tisch heran, doch sie straffte sich, und ihre Augen überzogen sich mit einem kühlen Schleier.
»Herr Berater, wissen Sie, welchen Schaden Sie meinem Vater zugefügt haben, als Sie ihn überredeten, die Geschäftshäuser wieder zu öffnen?«, fragte sie.
»Ihr Vater ist ein Patriot und ein praktischer Mensch, der begreift, dass die Menschen Kinder großziehen und Brot heimbringen müssen«, erwiderte ich und hoffte, endlich auf das Thema zuzusteuern, dessetwegen ich gekommen war.
»Das ist ein Brot, das mit Gift geknetet wurde.«
»Ich soll Ihnen Grüße von Michelle ausrichten. Sie wartet auf Sie.«
»Michelle? Ah, die Französin, die ihr in das Jugenddorf eingeschleust habt, um mich für euren Spionagedienst zu rekrutieren«, erwiderte sie abweisend.
»Das ist eine interessante Idee. Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, lächelte ich.
»Außer an die Kinder erinnere ich mich an fast gar nichts von dem Besuch. Mir scheint das alles ziemlich verdächtig, Michelle, der Direktor und Sie. Warum sollten Sie mir helfen wollen?«
»Sie sind wirklich sehr misstrauisch. Wie eine angehende Spionin. Die Sache ist ganz einfach, ich habe gesehen, dass es Ihrem Vater sehr viel bedeutet, wenn Sie hierbleiben würden, Sie sind seine einzige Tochter …«
»Ach, wirklich? Und von Vater zu Vater haben Sie beschlossen, ihm zu helfen …«
»Ich bin Junggeselle«, sagte ich, und plötzlich wurde ich wütend. »Ich mag Ihren Vater. Können Sie das nicht begreifen?«
Der Schatten eines Lächelns stieg in ihren Mundwinkeln auf.
Ich griff nach ihrer Zigarettenschachtel. »Darf ich?«
»Aber sicher. Herr Berater, sagen Sie mir doch bitte, wie viele Juden gibt es in Israel?« Sie versuchte, einen Melonenkern zu knacken, doch es gelang ihr nicht.
»Etwa zweieinhalb Millionen.«
»Das kann nicht sein. Das Restaurant ist voll, die Märkte platzen, die Läden sind demnächst ausverkauft, Massen überfluten die Westbank.«
»Zwanzig Jahre haben wir in einem Käfig gelebt, jetzt kommen alle heraus.«
Den nächsten Melonenkern versuchte sie erst gar nicht zu spalten, sie schob ihn in ihrem Mund von einer Seite auf die andere, ihre Lippen öffneten und schlossen sich, verzogen sich seitlich und glätteten sich wieder.
»Ihr seid mindestens zehn Millionen«, beharrte sie und schluckte den Kern hinunter. »Ich wollte Sie noch etwas fragen. Könnten Sie mir helfen, meine Freundin zu finden, Edna Mazursky? Ich habe sie in meiner Kindheit gekannt, in Talbieh, aber dort taucht sie nicht im Telefonbuch auf«, entschuldigte sie sich.
»Ich werde mich bemühen. Übrigens, haben Sie die Namen im
Telefonbuch gezählt, sind Sie da auf zehn Millionen gekommen?«
Sie grinste und verschränkte ihre Arme über der Brust, löste sie wieder und spielte mit der Zündholzschachtel. Ihre Lippen sprachen weiterhin zu mir in einer geheimnisvollen Sprache. Sie holte einen weiteren Melonenkern aus ihrem Mund und warf ihn in den Aschenbecher. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr und sagte: »Wir reden schon seit über einer Stunde. Müssen Sie nicht arbeiten?«
Du bist meine Arbeit, Jasmin, hätte ich gerne gesagt, doch ich hielt mich zurück, und stattdessen kam ein Versprechen über meine Lippen, das uns beide durch den feierlichen Ton überraschte, der es begleitete: »Ich werde alles tun, um Edna Mazursky zu finden!«
Jasmin stand auf und nahm die Autoschlüssel aus ihrer Handtasche. »Ich fahre nach Hause, soll ich Sie mitnehmen?«
»Nein, danke, nach dem Essen gehe ich gerne zu Fuß.«
Draußen blies der Wüstenwind, wetteiferte mit einer irrsinnigen, erbarmungslosen Sonne. Meine Nasenflügel trockneten ein, ich ging wie ein Schlafwandler. Ich versuchte, mir ihre Worte noch einmal zu vergegenwärtigen, sie zu verdauen, vor allem aber wollte
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