Jay: Explosive Wahrheit (German Edition)
damals einen Anführer eines anderen Dorfes, der die Tat genutzt hat, um mich bei den internationalen Truppen endgültig auf die Fahndungsliste zu bringen.«
»Wieso bist du dagegen nicht vorgegangen?« Sie merkte sofort, wie absurd die Frage war und winkte ab. »Schon gut, so einfach ist das natürlich nicht.«
»Stimmt. Außerdem hat es meinem Ruf in den Bergen nicht gerade geschadet. Mir wurde vorher vorgeworfen, dass ich zu gemäßigt sei. Das hat danach niemand mehr zu behaupten gewagt.«
Himmel, was für ein Leben mochte er dort führen? Und das auch noch mit Frau und Kind. Sie wollte mehr, viel mehr darüber erfahren, aber nicht unbedingt jetzt. »Nur auf Basis von ein paar Gerüchten gleich so verurteilt zu werden, ist doch nicht normal.«
»Überrascht dich das wirklich, wenn du an die aktuellen Terrorgesetze in deinem Land denkst? Taliban ist doch für die meisten gleichbedeutend mit Terrorist. Mounas Vater ist übrigens überzeugter Christ und hat trotzdem Angst, dass seine Familie eines Tages verhaftet wird, obwohl ihm in Amerika absolut nichts vorzuwerfen ist. Es gibt leider nur wenig Männer wie Joss oder Luc, die unser Land kennen und vor allem verstehen.«
»Ich habe mich nie näher mit deinem Land beschäftigt, aber das werde ich jetzt nachholen. Du hast mich richtig neugierig gemacht. Verrate mir nur noch eins: Wie ist es dazu gekommen, dass Mouna und ihre Familie bei Lucs Eltern gelandet sind? Jay hat erwähnt, dass das Mädchen sich dann auch noch selbst verletzt hat.«
Ein Schatten zog über Hamids Gesicht, offensichtlich hatte sie unabsichtlich einen wunden Punkt getroffen. »Mouna hat sich nach … dem Vorfall kaum noch aus dem Haus getraut und ihre Eltern waren hoffnungslos zerstritten. Eines Tages nahm sie die Pistole ihres Vaters mit raus, weil sie glaubte, einen Schutz vor bösen Männern zu brauchen. Ein Schuss löste sich und traf sie. Obwohl meine Schwester sofort da war, hätte sie es ohne Luc und seine medizinischen Kenntnisse nie geschafft, das Mädchen zu retten.«
»Deine Schwester?«
»Ja, nach afghanischen Maßstäben. Leibliche Verwandte sind wir nicht. Jasmin, den Namen müsstest du schon gehört haben.«
Nun gab das Gesamtbild einen Sinn. »Natürlich. Lucs Lebensgefährtin. Mounas Vater soll ihr später das Leben gerettet haben und dabei verletzt worden sein.«
»Auch das stimmt. In Afghanistan hätten sie ihm das Bein amputieren müssen, aber Luc hat dafür gesorgt, dass er hier behandelt wird.«
»Und wieso war Luc in deinem Dorf?«
Hamids Augen funkelten vor Vergnügen. »Das ist eine sehr lange Geschichte. Für jetzt muss dir reichen, dass er sich keineswegs freiwillig dort aufgehalten hat.«
Falls er vorgehabt hatte, sie neugierig zu machen, war es ihm gelungen. Lächelnd breitete sie die Hände aus. »Das ist unfair, aber ich bin ja schon froh, dass du mir überhaupt so viel erzählt hast. Wieso eigentlich?«
Jetzt war es unverkennbar, dass er sie auslachte. Zwinkernd deutete er mit dem Kopf auf Jay. »Weil du nach meinen Maßstäben zur Familie gehörst. Gewöhn dich dran.«
Ihr Mund klappte auf, aber ihr fiel nichts Sinnvolles ein, dann erinnerte sie sich an ihre Gedanken auf dem Plateau. »Einverstanden, du bekommst eine Bewährungsfrist als großer Bruder, aber vermassele es nicht.«
Hamid legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Du wirst dich mit Jasmin blendend verstehen. Eure Männer sind jetzt schon zu bedauern, wenn ihr euch zusammen gegen sie verbündet.«
»Ach, wir nehmen deine Frau gern in unseren Club auf.«
33
Luc reihte lautlos einen Fluch an den anderen, aber das änderte nichts daran, dass sich die Satellitenverbindung quälend langsam aufbaute. Vermutlich musste er froh sein, wenn sie überhaupt zustande kam. Die Welt war ungerecht. Wenige Meter entfernt im Wohnzimmer hatte Elizabeth keinerlei Probleme gehabt, eine Verbindung mit Kalil herzustellen. Die beiden hatten sich eindeutig gesucht und gefunden. Luc hatte sich für einigermaßen fit in Computerdingen gehalten, verstand aber nicht einmal die Hälfte ihres Gesprächs. Auch Jay hatte entnervt aufgegeben und das Haus zusammen mit Joss verlassen. Wie er seinen Bruder kannte, würde er sich einen abgelegenen Platz in den Klippen suchen und dort versuchen, mit der Erfahrung der letzten Tage fertigzuwerden. Solange Jay nicht bereit war, mit ihm über seine Zeit bei Alvarez zu reden, würde er ihn nicht drängen. Aber er war sicher, dass der Zeitpunkt irgendwann kommen würde.
Luc
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