Jay: Explosive Wahrheit (German Edition)
die Millionenstadt, die sich wie ein glitzerndes Lichtermeer vor ihnen aus der Dunkelheit erhoben hatte, und der Wohnung in bester Lage direkt am Central Park wäre sie vielleicht noch fertiggeworden, aber ein anderer Punkt ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Das Gespräch zwischen Jay, Ana und seiner Mutter war nicht für sie bestimmt gewesen, aber dennoch hatte sie stumm in der Tür gestanden und sich kein Wort entgehen lassen. Die liebevollen Gesten, mit denen Marie-Claire einfach für ihren Sohn da gewesen war, hatten Elizabeth die Tränen in die Augen getrieben. Erst viel später wurde ihr die Bedeutung von Anas Worten klar. ›Die Frau, die du liebst, …‹ Das konnte unmöglich sein Ernst sein, aber er hatte ihr nicht widersprochen.
Ehe jemand sie als unerwünschte Lauscherin entdeckt hatte, war Elizabeth lautlos weitergegangen und hatte das Gespräch ausgeblendet. Das hatte wunderbar funktioniert – bis zu dem Augenblick, als sie einschlafen wollte. Sie hätte es verstanden, wenn sie nervös gewesen wäre, weil sie sich in gut sechzehn Stunden Zugang zu der eigentlich perfekt gesicherten Wohnung des Anwalts verschaffen wollten. Doch stattdessen beherrschte Jay ihre Gedanken. Es war zum Verrücktwerden. Sie brauchte den Schlaf und konnte es sich nicht erlauben, am nächsten Tag müde und unkonzentriert zu sein.
Vielleicht würde ihr eine warme Milch helfen, im Fernsehen war das anscheinend ein Allheilmittel. Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. Dann lieber einen Kakao. Hoffentlich fand sie in der Küche die entsprechenden Zutaten. Leise stand sie auf. Es war warm genug, um in T-Shirt und Shorts durch die Wohnung zu wandern.
Sie kam nur bis zum Wohnzimmer. Bis auf eine flackernde Kerze auf dem Tisch war der Raum in Dunkelheit getaucht. Jay lag keineswegs wie erwartet im Bett und schlief, sondern saß mit geschlossenen Augen auf der Couch. Den Kopf in den Nacken gelegt, lauschte er der Stimme von Bob Seger, der versprach, dass sie diese Nacht hätten. Sie hätte nie gedacht, dass er solche Musik mochte. Das Lied jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Es schien wie für sie in diesem Moment geschrieben zu sein. Wer wusste schon, was sie am nächsten Morgen erwartete, aber jetzt und hier hatten sie die Chance, einige Stunden die Welt da draußen hinter sich zu lassen. Sie musste nur über ihren Schatten springen, ihm seine Verschwiegenheit verzeihen und ihn so akzeptieren, wie er eben war.
Das merkwürdige Gefühl in ihrer Magengegend verflog bei dem Gedanken. Bisher war sie nie einsam gewesen oder hatte es sich zumindest nicht eingestanden. Sie wollte sich nicht länger alleine und ruhelos in ihrem Bett herumwälzen und sie wollte auch nicht länger die Abende alleine vor dem PC oder Fernseher oder mit einem Buch verbringen.
Nachdem sie sich das endlich eingestanden hatte, setzte sie wie ferngesteuert einen Fuß vor den anderen, bis sie die Couch erreichte.
Jay öffnete die Augen und wollte sich überrascht aufsetzen, doch Elizabeth drückte ihn an den Schultern sanft zurück und setzte sich neben ihn. Seine Schulter war wie für ihren Kopf gemacht. Sie streckte sich neben ihm aus, kuschelte sich an ihn und genoss es, als er seinen Arm um sie legte und sie noch dichter an sich zog.
»Ich war ein Idiot, Beth.«
»Stimmt. Aber mir ist klar, dass du niemanden verletzen wolltest.«
»Ich hatte einfach Angst, dich zu verlieren, ehe … Ich liebe meine Familie und würde alles für sie tun, aber es ist auch nicht immer ganz einfach, mit ihrer Bekanntheit zu leben.«
Zu dem Ergebnis war sie mittlerweile auch gekommen und verstand, warum Jay und seine Brüder den Geburtsnamen ihrer Mutter angenommen hatten. Damit war alles gesagt, nur noch die Stimme von Bob Seger erfüllte den Raum. Dieses Gefühl der Geborgenheit kannte Elizabeth nicht und hatte es bisher nicht vermisst. Jetzt wusste sie, was sie in all den Jahren versäumt hatte. An das Panoramafenster hinter ihnen prasselten leise Regentropfen. Die Stadt lag mit ihren Lichtern unter ihnen, als ob sie ihnen gehören würde. Die CD wechselte zum nächsten Stück, wieder ein langsamer Rhythmus und die Stimme von Bob Seger.
Wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie die Zeit angehalten, um dieses Gefühl für immer zu genießen. In der ersten Klasse hatte die Lehrerin ihr ein leeres Heft geschenkt und ihr erklärt, dass es ein Schatzbuch sei. Sie sollte ihre schönsten Erlebnisse hineinschreiben, damit sie sich später daran erinnern konnte. Die Seiten
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