J.D.SALINGER Neun Erzählungen
wir dann verheiratet w aren, habe ich herausgefunden, dass er kein einziges Buch von ihr gelesen hat. Weißt du, wer sein Lieblingsautor ist?«
Mary Jane schüttelte den Kopf.
»L. Manning Vines. Schon mal von ihm gehört? «
» M – m .«
»Ich auch nicht. Und auch sonst niemand. Er hat ein Buch über vier Männer geschrieben, die in Alaska erfroren sind. Lew weiß nicht mehr, wie das Buch heißt, aber es ist das am schönsten geschriebene Buch, das er je gelesen hat. Lieber Gott ! Er ist nicht mal so ehrlich, offen zu sagen, dass es ihm gefallen hat, weil es von vier Kerlen handelt, die in einem Iglu oder so was verhungert sind. Er muss sagen, dass es schön geschrieben ist.«
»Du bist zu kritisch«, sagte Mary Jane. »Du bist einfach zu kritisch. Vielleicht war es ja doch ein gutes – «
»Verlass dich drauf, das kann gar nicht sein«, sagte Eloise. Sie überlegte einen Augenblick und setzte dann hinzu: »Du hast wenigstens eine Stelle. Also, wenigstens hast – «
»Aber hör doch mal«, sagte Mary Jane. »Glaubst du, du sagst ihm jemals, dass Walt umgekommen ist? Ich meine, er würde doch nicht eifersüchtig sein, oder, wenn er wüsste, dass Walt – na ja. Umgekommen ist und überhaupt.«
»Ach, meine Liebe! Du armes, unschuldiges kleines Karrieremädel«, sagte Eloise. »Dann wäre er noch schlimmer. Ein Ghul wäre er. Hör zu. Er weiß lediglich, dass ich mit einem namens Walt gegangen bin – einem klugscheißerischen Gl. Dass Walt umgekommen ist, wäre das Letzte, was ich ihm erzählen würde. Das Allerletzte. Und wenn ich’s täte – was ich nicht tu – , aber wenn ich es täte , würde ich ihm sagen, dass er im Kampf gefallen ist.«
Mary Jane schob das Kinn weiter vor, über den Rand des Unterarms.
»El … «, sagte sie.
»Hm?«
»Warum willst du mir nicht sagen, wie er ums Leben gekommen ist? Ich schwöre dir, ich würde es niemandem sagen. Im Ernst. Bitte.«
»Nein.«
»Bitte. Im Ernst. Ich sag’s auch niemandem.«
Eloise trank ihr Glas leer und stellte es sich wieder auf die Brust. »Akim Tamiroff würdest du es sagen«, sagte sie.
»Nein, bestimmt nicht! Wirklich, ich würde es nie – «
»Ach«, sagte Eloise, »sein Regiment lag irgendwo. Es war zwischen zwei Schlachten oder so, hat sein Freund gesagt, der mir geschrieben hat. Walt und ein anderer packten so ein kleines japanisches Ö fchen in einen Karton. Irgendein Oberst wollte es nach Hause schicken. Oder sie nahmen es aus dem Karton raus , um es neu einzupacken – so genau weiß ich es nicht. Jedenfalls war es voller Benzin und Zeug, und es ist vor ihrer Nase explodiert. Der andere hat nur ein Auge verloren .«
E loise begann zu weinen. Sie legte die Hand um das leere Glas auf ihrer Brust, um es festzuhalten.
Mary Jane rutschte von der Couch, machte auf den Knien drei Schritte zu Eloise hin und strich ihr über die Stirn. »Nicht weinen, El. Nicht weinen.«
»Wer weint denn hier?«, fragte Eloise.
»Ich weiß ja, aber weine nicht. Das ist es doch nicht wert oder so was.«
Die Haustür ging auf.
»Da kommt Ramona zurück«, sagte Eloise durch die Nase. »Tu mir einen Gefallen. Geh in die Küche und sag der da, sie soll ihr früh das Abendessen machen. Bist du so lieb?«
»Na gut, aber nur, wenn du mir versprichst, nicht mehr zu weinen.«
»Versprochen. Geh jetzt. Mir ist im Moment nicht danach, in diese verdammte Küche zu gehen.«
Mary Jane stand auf, verlor dabei das Gleichgewicht und fand es wieder und verließ das Zimmer.
Keine zwei Minuten später kam sie zurück, Ramona rannte vor ihr herein. Ramona rannte so plattfüßig wie möglich, um mit ihren offenen Galoschen den größtmöglichen Lärm zu machen.
»Ich durfte ihr nicht die Galoschen ausziehen«, sagte Mary Jane.
Eloise, die noch immer rücklings auf dem Boden lag, hatte ihr Taschentuch vorm Gesicht. Sie sprach, an Ramona gewandt, hinein. »Geh raus und sag Grace, sie soll dir die Galoschen ausziehen. Du weißt doch, dass du damit nicht ins – «
»Die ist auf der Toilette«, sagte Ramona.
Eloise legte das Taschentuch weg und richtete sich auf. »Gib mal deinen Fuß«, sagte sie. »Bitte setz dich erst hin . … Nicht da – hier . Gott!«
Auf Knien suchte Mary Jane unterm Tisch nach ihren Zigaretten und sagte: »Hey. Rate mal, was mit Jimmy passiert ist.«
»Keine Ahnung. Anderer Fuß. Anderer Fuß.«
»Er ist überfahrt worden«, sagte Mary Jane. »Ist das nicht tragisch?«
»Ich hab Skipper mit einem Knochen gesehen«, sagte Ramona zu
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