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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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beschreiben. Als Erstes könnte ich vielleicht erwähnen, dass Schwester Irma anstelle eines Fotos von sich ohne weitere Erklärung einen Schnappschuss ihres Klosters beigelegt hatte. Auch fällt mir auf, dass sie die Stelle auf ihrem Fragebogen, wo das Alter des Schülers eingetragen werden soll, leer gelassen hatte. Ansonsten war ihr Fragebogen auf eine Weise ausgefüllt, wie es vielleicht kein Fragebogen dieser Welt verdient hat. Sie war in Detroit, Michigan, geboren und aufgewachsen, wo ihr Vater »Prüfer für Ford - Automobile« gewesen war. Ihre akademische Bildung bestand aus einem Jahr an der Highschool. Sie hatte keinen ordentlichen Zeichenunterricht gehabt. Sie sagte, sie unterrichte es allein deswegen, weil Schwester Soundso verschieden sei und Pater Zimmermann (ein Name, der mir besonders ins Auge fiel, weil so auch der Zahnarzt hieß, der mir acht Zähne gezogen hatte) – Pater Zimmermann sie zur Nachfolgerin bestimmt habe. Sie schrieb, sie habe »34 Kätzchen in meiner Kochklasse und 18 Kätzchen in meiner Zeichenklasse«. Ihre Hobbys seien die Liebe zu ihrem Herrn und zum Wort ihres Herrn und »Blätter sammeln, aber nur, wenn sie auf der Erde liegen«. Ihr Lieblingsmaler war Douglas Bunting. (Ein Name, den ich, das sage ich ganz offen, über die Jahre bis in so manche Sackgasse verfolgt habe.) Sie schrieb, ihre Kätzchen zeichneten immer gern »Menschen, wenn sie rennen, und ausgerechnet darin bin ich s chrecklich«. Sie schrieb, sie wolle sehr hart daran arbeiten, besser zu zeichnen, und hoffe, wir würden nicht zu ungeduldig mit ihr sein.
    In dem Umschlag befanden sich insgesamt nur sechs Proben ihrer Arbeit. (Alle ihre Arbeiten waren unsigniert – eigentlich ein recht geringfügiger, zu jener Zeit jedoch unverhältnismäßig erfrischender Umstand. Die Bilder Bambi Kramers und Ridgefields waren allesamt entweder signiert oder – und irgendwie wirkte das nur noch ärgerlicher – mit Initialen versehen.) Nach dreizehn Jahren erinnere ich mich nicht nur deutlich an alle sechs Proben Schwester Irmas, an vier davon erinnere ich mich sogar, wie ich finde, für meinen Seelenfrieden ein wenig zu deutlich. Ihr bestes Bild war mit Wasserfarben auf braunem Papier gemalt. (Auf braunem Papier, zumal Packpapier, zu arbeiten ist sehr angenehm, sehr anheimelnd. So mancher erfahrene Künstler hat es benutzt, wenn er nichts Großes oder Großartiges vorhatte.) Das Bild war trotz seiner einschränkenden Größe (es maß ungefähr fünfundzwanzig auf achtundzwanzig Zentimeter) eine sehr detaillierte Darstellung von Jesus, wie er zum Felsengrab im Garten Josephs von Arimathäa getragen wird. Im Vordergrund, ganz außen rechts, tragen zwei Männer, offenbar Josephs Diener, ziemlich unbeholfen den Leichnam. Unmittelbar hinter ihnen folgt Joseph (von Arimathäa) – er hält sich unter den Umständen vielleicht eine Spur zu aufrecht. In einer ehrerbietig untergeordneten Entfernung hinter Joseph kommen die Frauen von Galiläa inmitten einer bunt zusammengewürfelten, vielleicht ungeladenen Gruppe Trauernder, Zuschauer, Kinder und nicht weniger als drei ausgelassener, gottloser Köter. Für mich war die Figur auf dem Bild eine Frau links im Vordergrund, die den Betrachter ansieht . Mit der rechten, überm Kopf er h obenen Hand bedeutet sie jemandem aufgeregt – vielleicht ihrem Kind oder ihrem Mann oder möglicherweise dem Betrachter alles liegen und stehen zu lassen und herbeizueilen. Zwei der Frauen in der vorderen Linie der Menge hatten einen Heiligenschein. Ohne eine Bibel zur Hand konnte ich ihre Identität nur grob erraten. Sofort jedoch entdeckte ich Maria Magdalena. Jedenfalls war ich mir sicher, sie entdeckt zu haben. Sie war im mittleren Vordergrund, ging offenbar getrennt von der Menge, mit den Armen an der Seite. Sie trug nichts von ihrem Kummer sozusagen zur Schau – ja, es gab keinerlei äußere Hinweise auf ihre jüngste, beneidenswerte Verbindung mit dem Verstorbenen. Ihr Gesicht war wie alle anderen Gesichter auf dem Bild in einer niedrigpreisigen, schon fertigen Fleischfarbe gehalten. Es war schmerzlich klar, dass auch Schwester Irma die Farbe unbefriedigend gefunden und ihr unberatenes, edles Bestes getan hatte, um sie irgendwie abzumildern. Andere schwerwiegende Mängel gab es in dem Bild nicht. Das heißt, keine, die eine mehr als krittelnde Erwähnung wert waren. Es war in jeder abschließenden Hinsicht das Bild einer Künstlerin und durchdrungen von einem hohen, hohen, systematischen Talent und

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