J.D.SALINGER Neun Erzählungen
hören, stand ich auf, zog meine Pantoffeln an, ging im Dunkeln zu einem der Sitzkissen und setzte mich darauf. Zwei Stunden lang saß ich im Schneidersitz da und rauchte Zigaretten, drückte sie auf dem Blatt des einen Pantoffels aus und steckte die Kippen in die Brusttasche meines Schlafanzugs. (Die Yoshotos rauchten nicht, und in den g esamten Räumlichkeiten gab es keinen Aschenbecher.) Gegen fünf Uhr morgens schlief ich dann ein.
Um halb sieben klopfte M. Yoshoto an meine Tür und teilte mir mit, das Frühstück werde um Viertel vor sieben serviert. Durch die Tür fragte er mich noch, ob ich gut geschlafen hätte, und ich antwortete mit »Oui«! . Dann kleidete ich mich an – mit meinem blauen Anzug, den ich für einen Lehrer am Eröffnungstag der Schule angemessen fand, und einer roten Sulka - Krawatte, die meine Mutter mir geschenkt hatte – und eilte, ohne mich gewaschen zu haben, durch den Flur zur Küche der Yoshotos. Mme. Yoshoto stand am Herd und bereitete ein Fischfrühstück zu. M. Yoshoto saß in Unterhemd und - h ose am Küchentisch und las eine japanische Zeitung. Er nickte mir unverbindlich zu. Beide hatten sie nie unergründlicher gewirkt. Nun wurde mir irgendein Fisch auf einem Teller mit einer kleinen, aber ins Auge fallenden Spur eingedickten Ketchups am Rand serviert. Mme. Yoshoto fragte mich auf Englisch – und ihr Akzent war unerwartet charmant – , ob mir ein Ei lieber wäre, ich aber sagte: »Non, non, madame – merci! « I ch sagte, ich äße niemals Eier. M. Yoshoto lehnte die Zeitung an mein Wasserglas, und wir drei aßen schweigend; vielmehr, sie aßen und ich schluckte systematisch schweigend.
Nach dem Frühstück zog M. Yoshoto sich, ohne die Küche zu verlassen, ein kragenloses Hemd über, Mme. Yoshoto legte die Schürze ab, und wir drei gingen ziemlich verlegen hintereinander nach unten in den Unterrichtsraum. Dort lagen auf M. Yoshotos breitem Schreibtisch in einem unordentlichen Haufen ein Dutzend oder noch mehr ungeöffnete, riesige, ausgebeulte Umschläge. Für mich hatten sie beinahe etwas frisch Gebürstet - u nd - Gekämmtes, wie neue Schüler. M. Yoshoto wies mir mei n en Schreibtisch zu, der an der fernen, abgelegenen Seite des Raums stand, und bat mich, Platz zu nehmen. Dann riss er, Mme. Yoshoto an seiner Seite, einige Umschläge auf. Er und Mme. Yoshoto schienen den gemischten Inhalt nach einer gewissen Methode zu sichten, wobei sie sich hin und wieder auf Japanisch berieten, während ich in meinem blauen Anzug und der Sulka - Krawatte am anderen Ende des Raums saß und mich bemühte, wachsam und geduldig zugleich und für das Unternehmen irgendwie unverzichtbar zu wirken. Der Innentasche meines Jacketts entnahm ich eine Handvoll weicher Zeichenbleistifte, die ich aus New York mitgebracht hatte, und breitete sie so geräuschlos wie möglich auf der Platte meines Schreibtischs aus. Einmal warf mir M. Yoshoto aus irgendeinem Grund einen kurzen Blick zu, und ich lächelte ihn übermäßig gewinnend an. Dann setzten sich die beiden unvermittelt und ohne ein Wort oder einen Blick in meine Richtung an ihren jeweiligen Schreibtisch und machten sich an die Arbeit. Es war ungefähr halb acht.
Gegen neun nahm M. Yoshoto die Brille ab, stand auf und kam mit einem Bündel Papiere in der Hand zu mir getappt. Ich hatte anderthalb Stunden mit absolutem Nichtstun verbracht und nur versucht, meinen Magen daran zu hindern, hörbar zu knurren. Rasch erhob ich mich, als er in meine Nähe kam, und bückte mich eine Spur, um nicht respektlos groß zu wirken. Er überreichte mir das Bündel Papiere, das er gebracht hatte, und bat mich, seine schriftlichen Korrekturen freundlicherweise aus dem Französischen ins Englische zu übersetzen. Ich sagte: »Oui, monsieur! « E r machte eine kleine Verbeugung und tappte zu seinem Schreibtisch zurück. Ich schob meine Handvoll weicher Zeichenbleistifte an eine Seite des Schreibtischs, zog meinen Füllfederhalter her v or und machte mich – nahezu untröstlich – an die Arbeit.
Wie so mancher wirklich gute Künstler unterrichtete M. Yoshoto Zeichnen keinen Deut besser als irgendein mittelprächtiger, der ein Händchen fürs Unterrichten hat. Mit seiner praktischen » Ü berdeck« - Methode – das heißt, seine Pauspapierzeichnungen wurden auf die Zeichnungen des Schülers gelegt – und dazu seinen schriftlichen Kommentaren auf der Rückseite der Zeichnungen konnte er einem einigermaßen talentierten Schüler durchaus zeigen, wie man ein
Weitere Kostenlose Bücher