J.D.SALINGER Neun Erzählungen
würde, sie effizienter zu unterweisen. Praktisch im selben Atemzug fragte ich, ob es ihr gestattet sei, in ihrem Kloster Besucher zu empfangen.
Die letzten paar Zeilen (oder Kubikdezimeter) meines Briefs sollten, wie ich finde, hier wiedergegeben werden – Syntax, Interpunktion, alles.
… Im Übrigen hoffe ich, sollten Sie die französische Sprache beherrschen, dass Sie mich dies wissen lassen, da ich mich in dieser Sprache sehr präzise auszudrücken vermag, nachdem ich den größeren Teil meiner Jugend vornehmlich in Paris, Frankreich, verbracht habe.
Da Ihnen ganz offensichtlich am Herzen liegt, rennende Figuren zu zeichnen, um diese Technik Ihren Schülern im Kloster zu vermitteln, lege ich Ihnen einige Skizzen bei, die ich selbst gezeichnet habe und die Ihnen vielleicht nützlich sein werden. Sie werden sehen, dass ich sie sehr schnell gezeichnet habe und sie keineswegs perfekt oder auch nur sonderlich empfehlenswert sind, dennoch glaube ich, dass sie Ihnen rudimentär aufzeigen, woran Sie Interesse bekundet haben. Leider verfügt der Direktor der Schule hier, wie ich sehr fürchte, über keine systematische Unterrichtsmethode. Ich bin beglückt darüber, dass Sie schon so weit fortgeschritten sind, allerdings habe ich keine Ahnung, was ich seiner Erwartung nach mit meinen anderen Schülern anfangen soll, die meines Erachtens weit zurückgeblieben und vor allem dumm sind.
Leider bin ich Agnostiker, gleichwohl bin ich, mit einiger Distanz, ein großer Bewunderer Franz von Assisis, was sich ja von selbst versteht. Ob Sie wohl gründlich vertraut damit sind, was er (Franz von Assisi) sagte, als man im Begriff stand, ihm einen seiner Augäpfel mit einem rot glühenden, brennenden Eisen zu kauterisieren? Er sagte Folgendes: »Bruder Feuer, Gott hat dich schön und stark und nützlich gemacht; ich bitte dich, sei freundlich zu mir .«
M einer Ansicht nach malen Sie in vieler Hinsicht wohltuend ein wenig so, wie er sprach. Darf ich Sie im Übrigen fragen, ob die Dame im Vordergrund mit dem blauen Gewand Maria Magdalena ist? Ich meine natürlich auf dem Bild, über das wir sprechen. Wenn nicht, dann habe ich mir leider etwas vorgemacht. Aber das ist ja nichts Neues.
Ich hoffe, Sie wissen mich gänzlich zu Ihrer Verfügung, solange Sie Schülerin bei Les Amis Des Vieux Maîtres sind. Offen gesagt glaube ich, dass Sie äußerst talentiert sind, und es würde mich auch nicht im Mindesten verblüffen, sollten Sie sich noch vor Ablauf mehrerer Jahre zu einem Genie entwickeln. Ich würde Sie darin nicht fälschlich ermutigen. Dies ist auch einer der Gründe, weswegen ich Sie fragte, ob die junge Dame im Vordergrund in dem blauen Gewand Maria Magdalena ist, denn wäre dem so, dann hätten Sie leider doch etwas mehr als Ihre religiösen Neigungen Ihr junges Genie eingesetzt. Das aber ist meiner Ansicht nach nichts, wovor Sie sich fürchten müssten.
In der aufrichtigen Hoffnung, dass Sie sich in bester Gesundheit befinden, verbleibe ich
m it vorzüglicher Hochachtung, Ihr
(gezeichnet)
JEAN DE DAUMIER–SMITH
Dozent an
Les Amis Des Vieux Maîtres
PS: Beinahe hätte ich vergessen, dass die Schüler jeden zweiten Montag der Schule Umschläge vorlegen sollen. Wollen Sie als Ihre erste Aufgabe freundlicherweise einige Freiluftskizzen für mich anfertigen? Machen Sie sie ganz ungezwungen und überanstrengen Sie sich nicht damit. Natürlich ist mir nicht bekannt, wie viel Zeit man Ihnen im Kloster für Ihr privates Zeichnen einräumt, und ich hoffe, Sie setzen mich darüber in Kenntnis. Auch bitte ich Sie, die nötigen Artikel zu erwerben, die Ihnen zu empfehlen ich so frei war, da ich gern sähe, dass Sie so bald wie möglich mit Ölfarben begännen. Verzeihen Sie mir die Bemerkung, aber ich glaube, Sie sind zu leidenschaftlich, um auf ewige Zeiten lediglich mit Wasserfarben und nie mit Ol zu malen. Das ist ganz sachlich gemeint, und ich möchte keinesfalls abschätzig sein; es ist vielmehr als Kompliment gedacht. Bitte übersenden Sie mir auch alle Ihre früheren Arbeiten, die Sie zur Hand haben, da ich sie sehr gern sehen möchte. Die Tage bis zum Eintreffen Ihres nächsten Umschlags werden für mich unerträglich sein, aber das versteht sich von selbst.
Wenn ich damit nicht zu weit gehe, wäre ich überaus erfreut, falls Sie mir berichteten, ob Sie das Leben als Nonne, in spiritueller Hinsicht natürlich, sehr befriedigend finden. Offen gestanden habe ich, seit ich die Bände 36, 44 und 45 der Harvard
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