Je länger, je lieber - Roman
Cadaqués nach Kanada gekommen war. »Aber wer war die Frau im Rollstuhl? War er mit ihr verheiratet?«
»Keine Ahnung. Sie nannten sich jetzt nicht Schätzchen oder Liebchen oder so. Aber was bedeutet das schon in dem Alter? Auf jeden Fall gingen sie sehr liebevoll miteinander um. Die Frau, sie hieß Daria, hielt die Tüte hoch und zeigte mir den Fisch.«
»Und was wollten die beiden nun von Ihnen?« Mein Gott! Die ganze Geschichte war beinahe ein Vierteljahrhundert her. Bedeutete diese Begebenheit etwas? Brachte sie Mimi irgendwie näher an Jacques heran? Belles Bericht wirkte so … so gegenwärtig, als wäre es gestern gewesen.
»Sie sagten mir, der Fisch sei von den Fischern in den Kabeljaunetzen gefunden worden. Es war definitiv ein Tiefseefisch, einer, der eigentlich gar nicht ins Netz hätte gehen dürfen. Ein rundes, ziemlich verknorpeltes Exemplar mit einer drachenartigen Rückenflosse. Er sah wunderschön, märchenhaft und doch furchtbar beängstigend aus. Und, wenn Sie mich fragen, ziemlich schlapp.« Belle trank in einem Zug ihr Glas leer und goss es sich gleich mit Eiswasser wieder voll. »Ich fragte, was sie mit dem Fisch vorhätten? Essen konnte man den nicht.«
Mimi nickte gebannt. Sie sah alles deutlich vor sich. Das Mädchen Belle, den alten Mann, die alte Frau im Rollstuhl mit dem drachenartigen Zauberfisch in der wassergefüllten Tüte. Auf dem Gehweg vor der rosa Villa. »Was haben sie gesagt, was sie damit wollten?«
Belle zuckte mit den Schultern. »Sie wollten ihn mit nach Hause nehmen, dort in ein Aquarium setzen und ansehen.«
»In ein Aquarium?!« Mimi lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Belles Wangen hatten vor Freude rote Flecken bekommen. Um sie zu kühlen, hielt sie das Glas mit dem Eiswasser daran.
»Ich sagte ihnen, dass der Fisch schnell sterben würde ohne genügend Meerwasser und enormem Wasserdruck. Sie sagten, genau darum hätten sie mich an gesprochen, ob ich dem Fisch solch ein Tiefseeaquarium einrichten könne? Am Abend ging ich mit einer Pumpe, Steinen und Sand hin. Vermutlich war ich die Einzige aus ganz Lunenburg, die je in ihrem Haus gewesen war. Sie servierten mir Kekse und Milch, während ich im Wohnzimmer das Aquarium dekorierte. Sie erzählten mir, dass sie ursprünglich aus Europa stammten. Daria war mit Ende dreißig von einer Brücke gestürzt und seitdem querschnittsgelähmt. Er kümmerte sich rührend um sie.«
»Von einer Brücke gestürzt?« Mimi konnte diese Daria überhaupt nicht einsortieren.
Belle machte ein mitleidiges Gesicht. »Ja, von einer Eisenbahnbrücke. Um ehrlich zu sein, die Geschichte klang ein bisschen komisch, als wäre es nicht wirklich ein Unfall gewesen, aber ich traute mich nicht nachzufragen.
»Waren Sie später noch einmal dort?«
»Nein. Kurz darauf starb Daria. Es gab ein kleines Begräbnis auf dem Friedhof. Oben, neben dem Schulgebäude. Danach habe ich Jacques nur noch ein- oder zweimal gesehen.«
»Wissen Sie, wohin er gezogen sein könnte?«
Belle schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Er war damals aber auch schon Ende siebzig. Ich vermute, aller Wahrscheinlichkeit nach wird er nicht mehr leben.«
Mimi wiegte den Kopf. »Ja. Vermutlich. Aber ganz ausschließen will ich es nicht. Immerhin ist meine Großmutter inzwischen auch beinahe hundert Jahre alt.«
Belle sperrte ungläubig die Augen auf. »Wow! Und Sie meinen wirklich, sie hat ihn diese ganze lange Zeit nicht vergessen? Ich drücke alle meine Daumen, dass Jacques noch lebt. Das wäre so romantisch!«
Bevor Mimi etwas darauf erwidern konnte, klingelte Belles Telefon in der Jackentasche. Sie machte eine entschuldigende Geste und hob ab. Nach kurzem Hin und Her legte sie seufzend auf. »Es tut mir leid, ich muss zurück ins Geschäft. Die kommen da leider selten ohne mich klar.« Sie legte ein paar Scheine auf den Tisch. »Ich werde mich in jedem Fall umhören, warum das Haus ausgerechnet jetzt zum Kauf angeboten wird und ob die Stadt Genaueres über den Besitzer weiß. Sobald ich etwas herausgefunden habe, melde ich mich bei Ihnen. Vergessen Sie hinterher aber nicht, Jacques und ihrer Großmutter zu erzählen, dass ich mitgeholfen habe, sie zusammenzuführen!«
»Bestimmt nicht!« Mimi stand auf und gab der jungen Frau dankbar die Hand. »Sie erreichen mich im Smugglers Cove Inn. Haben Sie vielen Dank für Ihre Mühe. Auch, dass sie mir nicht böse sind wegen meines Einbruchs.«
»Nun ja.« Belle blinzelte lächelnd in die Sonne. »Ehrlich gesagt bin ich Ihnen
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