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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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dankbar. Jetzt hab ich heute Abend etwas, das ich meinem Verlobten erzählen kann.«
    Mimi grinste. »Dann grüßen Sie ihn herzlich von mir.« Die Frauen verabschiedeten sich in unterschiedliche Richtungen. Mimi ging beschwingt zurück zum Hotel. Vielleicht gaben ihr die Fotos, die sie eilig in ihrem Hosenbund hatte verschwinden lassen, noch mehr Aufschluss über Jacques’ Verbleib. Sie konnte kaum erwarten, sie anzusehen. Am liebsten hätte sie die Bilder gleich hervorgeholt. Aber das ließ sie besser. Auch wenn sie sich mit der Maklerin gut verstand, konnte es doch sein, dass sie sich noch einmal zu Mimi umdrehte und der Ansicht war, dass die Fotos zum Inventar des Hauses gehörten.

26

    Arles, 1940
    Sicherlich war es ungesund, Monate im kalten, feuchten Weinkeller zu verbringen, während draußen die Jahreszeiten vorbeizogen. Doch Jacques hielt diese Wetterwechsel nicht aus, das orangegoldene Licht, das sich über die Weinberge, über den Garten und das Haus ergoss und sich mit dem Wind und dem Regen abwechselte, der den Boden aufweichte. Er verabscheute den Frühling, den Sommer, den Herbst und den Winter. Sie alle erinnerten ihn daran, dass die Zeit unaufhörlich voranschritt, während er in diesem unnützen, sinnentleerten Leben gefangen war. Es bewegte sich nichts.
    Seit letztem Sommer, in dem er ein letztes Mal in Cadaqués gewesen war, um gemeinsam mit Emilio und Gala neue Schritte zu überlegen, wie Daria und Pedro zu finden sein mochten, lebte er nun unter der Erde und saß an dem Holztisch, den er neben das große Maische fass gestellt hatte. Mit einer Kerze, umgeben von unzähligen Weinflaschen. Die Geschäfte regelte er von hier. Nach oben in die Küche ging er erst, wenn es Abend wurde und das Mädchen Yvette, das er für den Haushalt eingestellt hatte, auf sein Zimmer verschwunden war. Dann holte er sich das Essen, das es für ihn bereitgestellt hatte, und setzte sich hinaus in die Weinberge. Er mochte nicht hören, wie bleich er aussah. Er wollte nicht im Spiegel ansehen, wie heruntergekommen und grau er mit seinen beihnahe dreißig Jahren aussah. Dreißig Jahre war er alt. Wie lange musste er dieses Warten noch aushalten?
    Seit Daria mit Pedro vor über zwei Jahren verschwunden waren, hatte er nichts von ihnen gehört. Niemand hatte sie gesehen. Niemand wusste etwas. Nicht einmal zu ihren Eltern Emilio und Gala hatte Daria Kontakt aufgenommen. Sie blieb wie vom Erdboden verschluckt. Vielleicht war es an der Zeit einzusehen, dass seine Familie nicht zurückkommen würde. Er musste sie loslassen, sie gehen lassen, die längst gegangen waren, um sich nicht selbst zu vernichten.
    War es dem blond gelockten Mädchen in ihrem Waldblütenhain damals genauso ergangen, als er ihr den kleinen goldenen Kompass zurückgeschickt hatte? Hatte auch sie eine Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass er niemals kommen würde, dass alles Warten und Hoffen nichts brachte und sie nun tatsächlich allein war?
    In einem schwachen Moment und obwohl er sich geschworen hatte, es nie wieder zu tun, hatte er ihr im letzten Sommer aus Cadaqués eine Karte geschrieben. Nur um zu fragen, wie es ihr ging. Was sie tat. Seine Goldblüte. Im Kerzenschein hatte er in Casados Haus, in Darias altem Jugendzimmer gesessen und mit unruhiger Hand diese erste Karte seit sechs Jahren verfasst. Und als keine Antwort darauf kam, die zweite und die dritte. Immer flehentlicher waren seine Karten geworden. Immer dringlicher. Immer besessener. Und nun saß er hier unten im Kerzenschein und las ungläubig die Zeilen, die ihm der Postbote heute endlich als Antwort darauf gebracht hatte.
    Jacques, verschwinde aus meinem Leben und meinen Träumen.
    Sie sei frisch verheiratet, hatte sie geschrieben, und sie erwarte ein Kind. Ihre Sätze, die von einem eigenen Leben erzählten, trafen ihn wie eine Kugel, umso mehr, als er selbst ihr einst ähnliche Sätze geschrieben hatte. Nun empfand er ihren Schmerz wie seinen. Du bist ich und ich bin du. So hatte er sie noch beschworen, als er längst vergeben war. Nun war sie es auch.
    Andererseits, was hatte er denn erwartet?
    Um nie wieder in die Versuchung zu geraten, ihr zu schreiben, und um ihre gemeinsame Geschichte ein für alle Mal abzuschließen, faltete er ihren Brief zusammen, steckte ihn zurück in den Umschlag und ging hinauf ins dunkle Haus. Nur in der Küche brannte Licht. Auf dem Tisch standen eine Quiche und Salat. Beides ließ er stehen und schlich die Treppe hoch in sein Arbeitszimmer. Yvette

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