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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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hinter dem Dachfirst des Restaurants hervorkam. »Aber wieso hat Ihnen die Stadt den Auftrag erteilt? Gibt es keinen Eigentümer?«
    »Gute Frage.« Belle zuckte mit den Schultern. »Genaueres kann ich gern später für Sie in Erfahrung bringen, wenn Sie möchten.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Momentan sitzt allerdings niemand in der Verwaltung. Die Leute halten da eine ausgedehnte Mittagspause ab. Die meisten von ihnen gehen nach Hause, kochen, machen die Wäsche, füttern ihre Hunde und kommen dann am Nachmittag noch einmal für ein Stündchen rein. Es ist alles ziemlich entspannt hier.«
    Mimi nickte. »Erinnern Sie sich noch an den früheren Besitzer Jacques Barreto, der dort mit seiner kranken Mutter gelebt haben soll? Ihm hat angeblich die Fischfabrik gehört, bis er vor zwanzig Jahren urplötzlich verschwunden ist. Zumindest sagt das der Kutscher dort drüben.« Mimi zeigte hinüber zur Kutsche, die gerade mit einer fünfköpfigen Familie im Schneckentempo vom Parkplatz zu ihrer Tour aufbrach.
    Die junge Frau zog die Stirn kraus. »Ja, ich erinnere mich sogar sehr gut an ihn. Er lebte dort allerdings nicht mit seiner Mutter, sondern mit einer Frau in seinem Alter. Sie saß im Rollstuhl. Früher muss sie einmal sehr schön gewesen sein, hatte das gewisse Etwas wie Mata Hari oder so. Ein bisschen geheimnisvoll und melancholisch. Ich war sogar einmal bei ihnen im Haus.«
    »Was? Wirklich? Ich dachte, Jacques Barreto hätte mit niemandem aus dem Ort etwas zu tun gehabt.«
    »Das stimmt auch. Zumindest habe ich ihn nie bei irgendwelchen Hafenfesten oder Hummeressen gesehen, bei denen normalerweise ganz Lunenburg zusammenkommt. So ein eigenbrötlerisches Verhalten ist für eine Kleinstadt wie unsere eher ungewöhnlich.« Belle lächelte. »Aber die beiden baten mich um Hilfe.«
    Mimi hielt sich die Hand als Schirm über die Augen, zum Schutz vor der blendenden Sonne. »Um Hilfe? Wieso?«
    »Nun ja, als Kind habe ich mich am liebsten um verletzte Tiere gekümmert, habe Amseln mit gebrochenen Flügeln eingesammelt, um sie zu verarzten, oder Igel beim Überwintern geholfen. In der Schule nannten mich alle Doc-Dog-Belle.«
    »Sie wollten Tierärztin werden?«
    Belle wiegte den Kopf, sodass ihre goldenen Kreolen im Sonnenlicht blinkten. »Nicht ganz. Meeresforscherin. Aber bevor ich an die Wale rankam, dachte ich, kümmere ich mich erst mal um streunende Hunde, Vögel und Igel. Das hatte sich wohl bis zu Jacques herumgesprochen.«
    »Und was wollte er von Ihnen?« Mimi rutschte vor bis zur Stuhlkante und beugte sich über den Tisch.
    »Eines Tages sah ich ihn, wie er die Frau im Rollstuhl die Straße zu seinem Haus heraufschob. Ich kam ihm mit meinen Schulfreundinnen auf unseren Rädern entgegen. Sie wissen schon, so rosa Mädchenfahrräder mit bunten Perlen an den Speichen. Oh, ich habe mein Fahrrad geliebt. Ich hatte es gerade zu meinem zehnten Geburtstag bekommen und …«
    »Und was ist dann passiert?« Mimi blickte gespannt in Belles leuchtende Augen, die von langen, gebogenen Wimpern umrandet waren. Sie strahlte, als säße sie gerade in diesem Augenblick wieder auf ihrem geliebten rosa Mädchenfahrrad.
    »Wir radelten an ihm vorbei, wir wollten zum Spielplatz am Ende des Hafens. Aber er rief plötzlich: ›Hey, Doc-Dog-Belle, komm mal rüber!‹ Eigentlich wollte ich schnell weiter, es kannte ihn ja niemand so richtig. Aber als ich näher kam, sah ich, dass die Frau einen durchsichtigen, wassergefüllten Plastikbeutel auf ihrem Schoß hielt, in dem ein Fisch schwamm. So einen hatte ich noch nie gesehen. Sah wirklich prähistorisch aus.«
    »Und dann?« Mimi wusste nicht, wohin diese Geschichte führen würde, aber es tat gut, überhaupt irgendetwas über diesen nebulösen Jacques zu hören. »Beschreiben Sie ihn.«
    »Jacques oder den Fisch?« Belle grinste und spielte an ihrem kleinen Kettenanhänger, der einen goldenen Seestern darstellte. »Er trug immer einen Strohhut und …«
    »Seltsame Ledersandalen?«
    »Exakt!« Belle grinste. »Solche wie Jesus. Er hatte, glaube ich, ein Hemd an und eine Leinenhose. Er lief anders herum als die Leute hier. Und er hatte einen leicht französischen Akzent, seine Mutter war, wie er mir später erzählte, Frankokanadierin … Obwohl er eher spanisch aussah. Dunkle Haut, lockiges Haar.«
    »Er war Katalane«, sagte Mimi und angelte sich ein Stück Baguette aus dem Brotkorb. Die Herkunft seiner Mutter konnte zumindest eine Erklärung sein, warum er aus

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