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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Lass es mich wissen, wenn er und Clara sich treffen. Vielleicht werde ich dann auch wieder an die Liebe glauben.«
    »Wohin gehst du?« Mimi folgte ihm ein paar Schritte. Warum nur wollte sie nicht, dass er ging? Sie hätte dankbar sein sollen, dass er so verständig war, stattdessen hätte sie vor Verzweiflung losweinen können.
    »Ich fahre zum Flughafen und hoffe, dass ich heute noch einen Flieger bekomme.« Ihr alter Freund verschwand durch das Friedhofstor auf die Straße. Sie blieb stehen und sah ihm nach. Sie musste sich zwingen, ihm nicht nachzulaufen, um ihm für eine weitere zärtliche Nacht vorzumachen, sie gehöre ihm ganz allein. Sie durfte nicht noch mehr Hoffnung wecken, wo vielleicht gar keine war.
    Als er außer Sichtweite war, setzte Mimi sich auf eine Bank nahe der Wasserpumpe und holte endlich die Fotos aus ihrem Hosenbund hervor. Gut, dass sie sich mit ihnen ablenken konnte, um nichts Unvernünftiges zu tun, um nicht zu weinen, um hier in Kanada nicht die Nerven zu verlieren.
    Sie sah hinunter auf das erste Bild und erstarrte. Da waren sie. Ihre Eltern. Jakob und Larissa. Mama und Papa. Mimi presste die Hand vor den Mund. Oh, das war zu viel. Das war eindeutig zu viel für sie. Schluchzend strich sie mit der Fingerspitze über ihre Gesichter. Sie sahen genau so aus, wie Mimi sie in Erinnerung behalten hatte. Sie flüsterte: »Bitte holt mich ab. Ich will zu euch!« Warum hatte sie die Fotos nicht gemeinsam mit Bruno angesehen? Er hätte sie gehalten und sie in ihrem Kummer verstanden. Offenbar musste sie da allein durch.
    Zwischen ihren Eltern stand ein alter Mann mit Strohhut. Jacques! Genau wie Belle ihn beschrieben hatte. Er hatte die Arme um sie gelegt und lachte in die Kamera. Es war eindeutig ein befreites Lachen. Sie hatten ihn also noch gefunden! Eindeutig standen sie in seinem Haus am Kamin, dort, wo Mimi erst heute Morgen gestanden hatte. Im Hintergrund hing ein Ölgemälde, das zwei junge Mädchen in der Meeresbrandung zeigte. Die Sonne schimmert golden auf ihren Körpern, die sie mit Tüchern umwickelt hatten. Es war eine Szene voller Wärme und Schönheit. Die Verbundenheit dieser beiden Mädchen, die offenbar einen endlos langen Nachmittag am Strand verbracht hatten, war regelrecht spürbar.
    Dies musste das Bild sein, das ihre Eltern für ihn hatten verkaufen sollen. Mimi hielt das Foto schräg und zog die Augen zu schmalen Schlitzen. Irgendwoher kannte sie dieses Gemälde.
    Nur: woher?
    Die Antwort flackerte wie ein gleißender Blitz aus dem Dunkel ihres Unterbewusstseins auf. Sie hatte es auf einem der vergilbten Bilder im Fotoalbum ihrer Großmutter gesehen, das sie sich an jenem Nachmittag vor zwanzig Jahren angesehen hatten, als der dunkle Wagen vor ihrem Haus geparkt hatte und die Leute von der Fluggesellschaft zu ihnen gekommen waren, um ihnen die Nachricht vom Tod ihrer Eltern zu übermitteln. Nicht weit von hier waren sie mit dem Flugzeug ins Meer gestürzt. Und nun hielt sie ein Foto in der Hand, das mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit einen Tag vor der Flugzeugkatastrophe drüben in Jacques Barretos Haus aufgenommen worden war. Mimi erinnerte sich noch, dass ihre Großmutter auf das Bild im Album getippt und stolz erklärt hatte: »Mein Lehrer Casado und ich, 1928, vor einem seiner Bilder in Cadaqués.«
    Das Gemälde war also ein echter Emilio Casado. Das Album. Wo war es?
    Und wo war das Gemälde jetzt? Hatte Jacques es mitgenommen, als er aus Lunenburg verschwunden war? Wenn Mimi das Bild des berühmten Malers fände, würde sie vielleicht auch Jacques finden. Sie musste sich sofort darum kümmern.
    Als sie ins Hotel zurückkam, schoss der grauhaarige Besitzer in seiner Jeanslatzhose hinter dem Tresen hervor. »Es war noch jemand für Sie hier. Belle McCall. Sie hat Ihnen eine Nachricht hinterlassen.« Er reichte ihr einen gefalteten Zettel und lächelte. »Sie sagte, es sei wichtig.«
    »Vielen Dank.« Mimi nahm den Zettel und ging damit die Treppe hinauf. Belle hatte darauf eine Telefonnummer von einer gewissen Charlotte Champlain notiert, der laut Stadtverwaltung Jacques’ Haus gehörte. Mimi würde sie gleich anrufen, ebenso den Kurator des Casado-Museums in Barcelona. Sie waren die Einzigen, die ihr helfen konnten, Jacques’ jetzigen Aufenthaltsort zu finden.

30

    Waldblütenhain, 1949
    »Es soll unser Geheimnis sein, hörst du?« Clara fuhr Jakob durchs lockige Haar. »Wir wollen endlich eine ganz normale Familie sein. Vater, Mutter, Kind. Wir müssen

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