Je mehr ich dir gebe (German Edition)
einem einzigen Baum getragen, der mitten durch das Haus hindurchgeht. Befestigt mit Scharnieren, die jedes Jahr um zwei Millimeter geweitet werden, damit der Stamm ungehindert weiterwachsen kann. Ein Doppelzimmer kostet inklusive Frühstück 3675 schwedische Kronen, umgerechnet 373 Euro. Und eignet sich auch für Menschen mit Höhenangst. »Wahnsinn«, sagt Julia und sieht sich schon an einer Strickleiter den Baum hochklettern, mit Jonas. Aber dann merkt sie, dass Jonas nicht nachkommt, sondern auf einer Sprosse stehen bleibt.
Kolja schäumt Milch auf. Einen Augenblick ist ihr, als streife sie etwas am Arm – oder war es ein Luftzug. Sie schaut zum Fenster. Es ist zu. Julia umfasst ihre Arme und verschränkt sie vor der Brust.
»Ist dir etwa kalt? Du siehst so fröstelig aus«, sagt Kolja.
»Nein, alles okay.«
Ihr Arm kribbelt noch. Sie legt eine Hand darauf, will das Kribbeln noch ein bisschen festhalten. Kolja schäumt noch immer Milch auf. Sie schaut auf die Filmplakate. Sharon Stones Lippen sehen gar nicht aufgespritzt aus. Komisch, so vieles sieht und versteht man nicht und weiß es doch. Kolja gießt die Milch in ein Glas, nimmt die Kanne und füllt Kaffee auf. Julia schaut zu, wie der Milchschaum immer höher steigt, bis über den Glasrand hinaus. Lecker!
»Danke.«
»Aber gerne doch!«, sagt er und schmunzelt. Dann pudert er noch einen Hauch Kakaopuder auf den Milchschaum.
»Sag mal, Kolja, warum kümmerst du dich eigentlich so um mich?«, fragt Julia. Ihre Stimme kommt von weit her – als wäre sie hoch oben auf der Strickleiter und Kolja über ihr, im Baumhaus.
Er gießt Milch in ein zweites Glas. Schaut sie mit einem filmreifen Blick an.
»Weil ich mal total in dich verknallt war.«
»In mich?«
»Ja.« Kolja stellt die zwei Gläser auf den Tisch.
»Wann war das denn?«
»Bevor du mit Jonas zusammen warst.«
»Aber wir kannten uns doch gar nicht!«
»Doch.« Kolja löffelt sich Zucker in den Milchkaffee. »Ich kannte dich schon vor Jonas.«
»Ach ja?« Julia schaut ihn fragend an.
»Erinnerst du dich an die Faschingsparty im SO 36 , als du als Kleopatra verkleidet warst?«
Julia prustet los. »Das war vor anderthalb – nein! – zwei Jahren. Da war ich fünfzehn!«
»Ja, du warst fünfzehn und …«, Kolja sucht nach Worten: »… und so bezaubernd. Ja, genau, eine bezaubernde Kleopatra!« Seine Wangen sind gerötet.
»Und wer warst du?«
»Ich war der Mafioso mit der dicken Zigarre.«
Julia muss überlegen. Sie schaut an die Decke. Als wäre dort ihre Vergangenheit. Sie sieht keinen Mafioso mit dicker Zigarre.
»Ich kann mich nicht mehr so richtig erinnern. Wir haben heimlich Jägermeister und Bier getrunken und später habe ich voll auf die Straße gekotzt.«
»Ich weiß«, sagt er.
Julia beißt sich auf die Lippen. Ein komisches Gefühl, wenn jemand anders etwas über einen weiß, ohne dass man sich selbst daran erinnert. Vom Schauspielen ist sie es zwar gewohnt, angeschaut und beobachtet zu werden, aber nur, wenn sie darauf vorbereitet ist. Auf der Faschingsparty damals hatte Julia nur ihre Verkleidung zur Schau gestellt, nicht sich. Und als sie auf die Oranienstraße gekotzt hatte, war zum Glück Charly dabei gewesen. – Anscheinend jedoch nicht nur sie. Auch Kolja musste sie kotzen gesehen haben. Wie peinlich!
»Aber Jonas war ganz sicher nicht auf der Party, oder?«
»Nein. Er war nicht da.« Wie dunkel Koljas Augen werden können, dunkelbraun – bis hin zum Schwarz, obwohl sie im Licht sonst eher honigfarben schimmern.
»… da war ich schon verknallt in dich. Wie elegant du dich bewegt hast, wie seidig deine Stimme war, dein Lachen!« Seine Augen glänzen. Er schwärmt von ihr, als säße sie nicht mit im Raum. »Da warst du wirklich eine Königin.«
Julia schmunzelt. Um Komplimente ist Kolja ja nicht gerade verlegen. Sie spürt den Windhauch jetzt von der anderen Seite, als ginge jemand an ihr vorbei. Aber da ist nichts.
»Verrückt«, sagt sie. »So lange kennst du mich also schon? Aber ich dich nicht.«
»Kein Wunder. Du warst immer vergeben oder beschäftigt. Ich wollte mich nicht aufdrängen. Das ist nicht meine Art.«
»Aber hat es dich dann nicht gekränkt, als ich mit Jonas zusammen war?«
»Doch«, sagt Kolja. »Obwohl, gekränkt ist nicht der richtige Ausdruck. Es hat mir wehgetan – einerseits. Andererseits habe ich mich für Jonas total gefreut. Er war so verliebt in dich; ihr wart so glücklich. Und was gibt es Schöneres, als seinen
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